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Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)

Titel: Regeln des lächerlichen Benehmens (German Edition)
Autoren: Emil Hakl
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sagt Murgy, sehr wahrscheinlich aber nicht zu mir, denn gleich im Anschluss muntert er mich auf: „Jaa! Weiter, Seppel! Höher! Du bist jetzt gefordert.“
    Vor mir flattern meine Fußspitzen. Vor ihnen oder eher hinter ihnen und um sie herum leuchtet das Land des Teufels in Ocker und Siena-Braun, eine sich in der Ferne verlaufende Anhäufung von Hügeln. Schütter-zottelige angegraute Wäldchen. Kleine Dörfer, die wie Wanzennester an den Füßen dunkler Felsen kleben.
    „Pedro Kramenec, red kein’ Scheiß!“, knistert es in der Sprechmuschel, bis mich die Eustachische Röhre juckt. „Komma her, du Held, was hast’n da für ’n Modell?“
    Meine Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die durchsichtige Raupe, die sich mein Knie hinauf bewegt. Ein unerbittlich einfaches, kriechendes Spielzeug, ein einziger Verdauungstrakt, durch einen kleinen Kanal mit dem Arsch verbunden. Der Fleisch gewordene Hunger.
    Langsam kapier ich es. Am besten überhaupt nichts anfassen. Bei Bedarf leicht ziehen. Eigentlich ist gar nichts dabei. Ich fliege.
    7 ICH FLIEGE, WEIL ICH MURGY GETROFFEN HABE. Also eigentlich eher umgekehrt. Auf dem Letná-Platz richtete er seinen Zinken auf mich und sagte: „Dich kenn ich.“ „Ich dich nicht“, entgegnete ich. „Wie auch, ich kenn dich schließlich von ’nem Foto“, antwortete er. Ehrlich gesagt, es hat mich nicht sonderlich interessiert, von was für einem Foto mich ein Schlaks Anfang dreißig, das Basecap selbstverständlich schräg auf dem Kopf, kennen könnte. Er hatte allerdings nicht vor, sich die Chance ent gehen zu lassen. „Na ja, doch!“, er schlug sich auf die Schenkel. „Na ja! Doch! Hh! Hah!“, rief er und seine Wolfsaugen leuchteten. Es musste wohl was mit meinen literarischen Ambitionen zu tun haben, sagte ich mir. Stipendien überall in Europa, Buchmessen abklappern, um Fördergelder betteln, dazu hatte ich keinen Nerv, aber wenn jemand mit einem Fotoapparat anrückt, halte ich hin, und zwar gerne. Nur wenn ich mir in den Medien von Zeit zu Zeit einen runterhole, gibt es eine Chance, dass noch gut hundert andere lesen, was ich hier tippe. Was das bringt? Die Antwort auf diese Frage kenne ich nicht.
    „Der Sep-pel!“, kreischte Murgy wie bekloppt, haute mir auf den Rücken, und alle drehten sich nach uns um. Inzwischen waren wir nämlich in einer Bar namens
Fraktál
. Auf hohen Stühlen an hohen Tischen rauchten hoch aufgeschossene Mädchen in frappierenden Farben. Paradiesvögel mit hennaroten Pferdeschwänzen, die nur entsprechend aufgetakelte Männchen an sich ranlassen. „Das ist er, der Seppel!“, zeigte er auf mich. Sie drehten ihre Köpfe in meine Richtung. Man sah, dass ich für sie unsichtbar war. Ihn nahmen sie wahr, aber er war keiner von ihnen, dazu war er ein allzu beschriebenes Blatt. Sie bliesen Rauch aus und drehten sich wieder weg.
    Es stimmt, mein Gesicht grinst von Plakaten am Bahnhof und von Werbetafeln an der Autobahn. Als Schwejk, als Franz Josef I. und, aller guten Dinge sind drei, als grenzdebiler mährischer Trachtenseppel. Murgy wollte wissen, wie man dazu kommt, dass man überall ist. Ob das über eine Agentur läuft oder so. Ich berichtete, wie die Mädels aus der Anzeigenabteilung – „Die Mädels aus der Anzeigenabteilung, super Bandname“, bemerkte Murgy –, wie die damals einen dieser alternden Schauspieler engagieren wollten, die sich anbieten wie Nutten unterm Brückenbogen. Sie baten ihn, ihnen sein Gesicht für Fotos zu verkaufen, nannten eine Summe, er wollte eine Null mehr, sie wurden unsicher, er legte auf. „Für das Geld verkauf ich meine Fresse vom Fleck weg!“, brüllte ich in einem Anflug von sozialer Empörung, wie man dann eben so schreit. „Echt?“ Sie drehten sich um. „Meinet wegen zehnmal!“, grölte ich. „Echt“, fragten sie wieder, „meinst du das ernst?“
    „Tja, dumm gelaufen“, sagte ich zu Murgy. „Ich konnte mir’s aussuchen – vor den Mädels das Gesicht verlieren oder vor mir selber.“
    Murgy nickte und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, beschrieb ich ihm das Fotografieren selbst. Ein geschniegelter Maskenbildner klebte mir eine devote Kartoffel an die Nase, kratzte mit einem stumpfen Rasierer an meinem Drei-Tage-Bart rum, lackte meinen Kopf komplett ein und puderte ihn rosa. Mit Pünktchen zauberte er mir einen neuen Drei-Tage-Bart. Ich saß da in der nesselgrünen Uniform, mit zwei Kissen ausgestopft. Ammoniakmief, der Gestank nach Schminke, völlig überheizt.
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