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Rede, dass ich dich sehe

Rede, dass ich dich sehe

Titel: Rede, dass ich dich sehe
Autoren: Christa Wolf
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Seenplatte Mecklenburgs von Plau bis Templin, entlang der Elde und der Havel …« Ich glaube, es gab zu seinen Lebzeiten kaum einen Menschen, der umfassender und genauer über Mecklenburg Bescheid wußte als er. Es gibt ein Verzeichnis der mecklenburgischen Orte, die in seinen Büchern, insbesondere in den Jahrestagen , vorkommen: Es sind über hundert. Sechshundert Bücher über Mecklenburg fanden sich in seiner Bibliothek.
    Auf Johnsons letzter Reise durch Mecklenburg, von der noch die Rede sein wird, berührt er auch Neubrandenburg, und natürlich Güstrow – jene Stadt, in der er sieben Jahre gelebt hat, in der er auf die John-Brinckman-Schule gegangen ist, vor der heute seine von Wieland Förster geschaffene Stele steht. Ich war dabei, als sie enthüllt wurde, ich sah sie zuerst von schräg hinten und fand, der Bildhauer hatte die Haltung des Rückens gut getroffen, der sich, etwas gebückt, vom Betrachter wegbe
wegt. Und ich war mir bewußt, daß dieser Schriftsteller nun – als Denkmal – zurückgekehrt war in jene Stadt, die er, zusammen mit Grevesmühlen, zu seinem fiktiven Ort Gneez verwandelt hat, der für die Personen seiner Jahrestage , in der Mehrzahl Mecklenburger, eine so große Rolle spielt.
    Ich streiche auf seiner Mecklenburger Liste die Namen der Orte an, in denen auch ich gewesen bin, ich komme auf knapp dreißig. Wie er sind wir ja im Frühjahr 1945 als Flüchtlinge in dieses Land gekommen, weiter westlich allerdings. Später kam dieser Teil Mecklenburgs mir aus den Augen. Heute biegen wir, aus Berlin kommend, bei der Abfahrt Malchow von der Autobahn ab – ein Ort, in dem Heinrich Cresspahl gelebt hat, den wir aber rechts liegen lassen, um in Richtung Sternberg über Goldberg und Dobbertin zu unserem kleinen Dorf am Rande der Mecklenburgischen Seenplatte zu fahren. Mancherorts hätten wir, Johnson und ich, uns damals begegnen können. Die Zeitverschiebung in unserem Leben hat das verhindert. Sie hat auch verhindert, daß wir in den gleichen Jahren im Hörsaal 40 an der Leipziger Universität die Vorlesungen von Hans Mayer hörten – jenem Professor, der das außergewöhnliche Talent seines Studenten Johnson erkannte und ihn ideell und materiell förderte.
    Verfehlt haben wir uns auch, als Johnson im August 1982 zum letzten Mal in Güstrow war, als ein »Mr. Johnson«, Mitglied einer englischen Reisegruppe. Ein, zwei Jahre später begannen wir, nicht mehr als zwanzig Kilometer südlich von Güstrow, unsere Sommer in einem alten mecklenburgischen Pfarrhaus zu verbringen. Wie oft sind wir seitdem in Güstrow gewesen, haben Freunde von der Bahn abgeholt, haben ihnen die Stadt gezeigt, mit ihnen vor den Barlach-Skulpturen gestanden, den Schwebenden Engel im Dom besucht. Wie oft habe ich dabei an Uwe Johnson gedacht. Da war er schon tot. Da war er 1984 in einem entfernten Ort an der englischen Themsemündung gestorben. Sein Herz hatte »versagt«. Es war ihm zuviel zugemutet worden.
    Als unser erstes Mecklenburger Haus abgebrannt war, hat Uwe Johnson mir eine Karte geschrieben: »Ich höre, Ihr Haus ist abgebrannt, kann ich etwas für Sie tun?« Wir kannten uns. Zum ersten Mal hatten wir uns im Februar 1974 getroffen. Wir wohnten damals in Kleinmachnow, ein Ort zwischen Berlin und Potsdam. Plötzlich war eine Stimme am Telefon, die ich merkwürdigerweise erkannte. Ob es uns recht wäre, wenn er uns besuchen käme. Er hatte natürlich schon die Ankunftszeiten der Züge auf dem Bahnhof Schönefeld recherchiert, dort mußten wir ihn abholen, weil er, soweit ich mich erinnere, keine Sondergenehmigung für das Umfeld von Berlin hatte, die er als Westberliner gebraucht hätte. Es gab also umständliche und peinlich genaue Verabredungen, wann mein Mann ihn in Schönefeld treffen würde. Er, Johnson, war dann doch eine Stunde zu früh dagewesen, enttäuscht. Er habe sich unter einem Bahnhof etwas mit Bewirtschaftung vorgestellt.
    Wir waren erfreut und irritiert darüber, daß er zu uns kommen wollte. Später erfuhren wir, daß er Nachdenken über Christa T. gelesen hatte. – Eine etwas skurrile Gestalt in schwarzer Lederjacke, mit einem grünen Hemd, für das er, wie er sagt, lange herumlaufen mußte, weil er das Kunststoffzeug nicht vertrage, und einer flachen runden Schirmmütze. Ein großer Konfektkarton wird mir überreicht. Es habe nichts anderes gegeben. Er selbst lehnt Süßes ab, sein Arzt habe ihm dazu geraten, da er gegen Süßes eine Abneigung habe. Dann essen Sie es eben nicht.
    Erst
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