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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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Kurze Zeit später hatte er den Kölner Anwalt Birkenstock gefunden.
    Ich hatte noch nie von einem Anwalt Birkenstock gehört, aber ich war erst mal dankbar, dass sich da jemand kurzfristig um mich kümmern und nach Frankfurt fahren wollte. Das dauerte zwei Stunden, und wenn mir bisher noch nicht klar war, dass ich tief in der Scheiße steckte, wurde es mir in der stinkenden und verkritzelten Mini-Haftzelle in den Katakomben des Frankfurter Justizgebäudes bewusst. Leider sind die Inschriften selten in deutscher Sprache und aufgrund der geringen Größe der Zelle auch nicht geeignet, zwei Stunden zwischen Depression und Langeweile und auch allmählich einem Schuss von Verzweifelt-Sein und Sich-von-der-Welt-vergessen-Fühlen ablenkend zu füllen. Ein Spruch, den ich noch öfter in anderen Zellen lesen würde, lautete: »Ob sie dich lieben oder hassen, irgendwann müssen sie dich laufen lassen.« Ich war in der Hölle angekommen und hatte zunächst keine Hoffnung mehr. Diese Hoffnungslosigkeit, die ich zuerst als einen Zustand von Tagen sah, sollte sich über Monate hinziehen. Das Schlimmste im Moment war, dass wichtige Menschen wie meine Mutter noch gar keine Ahnung hatten, wo ich steckte und was passiert war. Wie auch? Nach dem ersten Schock wurde es mir selbst allmählich erst bewusst. Mir ging es immer schlechter.
    Dr. Reinhard Georg Birkenstock hatte eine dicke väterliche Ausstrahlung und nahm mir das Gefühl, alleine gegen den Rest der Welt zu stehen, in der uniformierte und nicht uniformierte Überzeugungstäter das Sagen haben. Ich versicherte ihm, dass alle Anschuldigungen gegen mich haltlos seien; er stellte mir ein paar Testfragen, wie er mir später sagte, und beteuerte, dass er mir glaube. Weniger schön war, dass er mir ein Buch gab, das er selbst herausgegeben und im renommierten dtv-Verlag veröffentlicht hatte, ein Buch über Richter und Gerichtsszenen in der geistlichen und weltlichen Literatur. Liebe Anwältinnen und Anwälte aller Länder, auch wenn ihr meint, der Welt erläutern zu müssen, »wie Richter ticken«: Es ist nicht das, was sich der gerade unschuldig Festgenommene und bald Inhaftierte als Erstlektüre nach der Verhaftung wünscht. Und ich glaube, selbst die, die was ausgefressen haben, wollen so was nicht unbedingt lesen.
    Die Fahrt von Frankfurt nach Mannheim war erfüllt von der Tristesse, die aufkommt, wenn man alle Rasten und Tanken wiedererkennt, in denen man früher fiese Frikadellenbrötchen, Cola light zum Wachbleiben oder in den fetteren Zeiten auch eine Schokolade zum sofortigen Verzehr gekauft hat. Diesmal gab es kein Anhalten, nirgendwo. Alles war anders, und auch wenn ich mich an jede Szene des bisher größten Katastrophentags meines Lebens erinnere, sehe ich alles im Rückblick durch einen großen Dunstschleier. Er steht wohl dafür, was die Kumpels im Knast Haftschock nannten. Er trifft selbst die, die was verbrochen haben, weil sie nie genau wissen, wann es so weit ist. Und die wie mich, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, trifft er ganz besonders.
    Auf der traurigen Fahrt habe ich nicht die Fassung verloren. Es wohnen grundsätzlich weder Aggression noch Jähzorn in mir, und meine Ratio war zu jedem Zeitpunkt stark und gab mir die Erkenntnis, dass ich im Moment an meiner Situation nichts ändern konnte. Widerstand war ohnehin zwecklos; ich hatte spezielle Handschellen für den Transport im Auto verpasst bekommen (durch die hat man den Sicherheitsgurt am Hals und wäre bei einer Bremsung definitiv stranguliert worden), und die geballte Fröhlichkeit, die die beiden Schwetzinger Polizisten im Auto zu Gesicht und zu Gehör brachten, ließ erahnen, dass man mit Polizisten, die so unbändig gute Laune hatten, nachdem sie einen Promi »zur Strecke gebracht« hatten, nicht vernünftig reden konnte.
    So beschränkte sich die Konversation auf die Frage der Polizisten an mich, ob ich denn »die Observationskette« am Frankfurter Flughafen wirklich nicht bemerkt hätte, was ich naturgemäß verneinte, wie hätte ich auch. Darüber konnten sich die beiden stolzen Dorfpolizisten kaum beruhigen und erzählten einander immer wieder, dass das ja ganz toll sei und welch professionelle Arbeit sie doch geleistet hätten.
    Im weiteren Verlauf der Reise fragte ich noch, ob denn eine Falsch beschuldigung, wie sie mir zuteilwurde, von Amts wegen verfolgt werde und was man so dafür bekomme. Diese Frage löste ungläubiges Unbehagen aus, und ich entnahm der genervten Antwort,
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