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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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-Verantwortlichen, dass die Sauberkeit der Zellen generell in der Verantwortung der Gefangenen liege, insinuierend, dass der Kachelmann einfach nicht gefeudelt habe, wenn seine Zelle dreckig war.

    Ich wurde am zweiten Tag in der JVA Mannheim fotografiert, Schock und Elend sind unschwer zu erkennen. Wochen später wurde ich Reiniger mit »eingeschränkter Innenlockerung«.
    Nein, Sie können sich nicht aussuchen, wo Sie Ihre erste Nacht in der JVA verbringen. Sie können nur gewiss sein, dass Sie nicht alleine sind, damit Sie sich nicht ans Gitter hängen. Sie können sicher sein, keine Putzmittel zu bekommen, bis Sie etabliert sind und das System verstanden haben. Und Sie können sicher sein, wenig bis nichts zu essen zu bekommen, wenn Sie nach vierzehn Uhr »einfahren«, wie es in der Fachsprache heißt.
    Ich konnte nicht schlafen, der Kopf ratterte, und natürlich habe ich alle Szenarien durchgespielt, wie ich hätte verhindern können, dass ich nun unschuldig im Knast saß. Spätestens in Kanada hätte ich wissen müssen, dass eine Nullreaktion der verlassenen Frau ein schlechtes Zeichen war, wenn ich eigentlich erwartet hätte, dass sie zumindest zur Stalkerin wird. Aber was hätte ich tun sollen? Anrufen, ob alles okay ist? Fragen, wie’s so geht? Vorsichtshalber in die Schweiz fliegen?
    Es gibt viele Dinge, die einen auf einen Gefängnisaufenthalt vorbereiten. Eine einfache Kindheit, in der es üblicherweise Wurscht und Brot als Abendessen gab, ist eine gute Vorbereitung. Jahrelanges Dienen in der Schweizer Armee mit Aufenthalten in fensterlosen stinkigen Bunkern unter Tage ist auch eine gute Vorbereitung. Und in den Siebzigerjahren mit einem Jollenkreuzer auf dem Bodensee unterwegs gewesen zu sein, war auch gut. Damals gab es noch nicht die später vorgeschriebenen Chemieklos, rund um den See waren die Kläranlagen nicht überall fertig, und in warmen Sommern war das Wasser des Untersees von einem schweren, blubbernden Algenteppich bedeckt. So erschien es damals nicht weiter problematisch, auf den Segeltörns als Klo einen Eimer zu benutzen, der leicht mit Wasser gefüllt und nach Verrichtung des Geschäfts über Bord entleert wurde.
    Jahrzehnte später erschien es jedoch problematisch, zumal ich nicht mit meinen Eltern auf engem Raum war, sondern mit dem mir bis dato völlig unbekannten Menschen A. Das Spülgeräusch entsprach dem eines startenden Düsenjägers, und A. hockte senkrecht im Bett. Entschuldige, Alter, für das laute Wachwerden in unserer ersten Knast nacht. Und dass ich Amateur die erste Kakerlake der Nacht plattgetreten habe. Das soll man nicht, weil angeblich die Eier dann an der Schuhsohle bleiben und später zu neuen Kakerlaken werden können. Man soll die Kakerlake mit Klopapier aufheben und anschließend im Klo runterspülen – wobei sich dann zeigt, wieso Kakerlaken die mutmaßlichen Gewinner der Evolution sein werden: Sie schwimmen lange obenauf, obwohl die Knastklos noch diese gute alte Spülung haben, wo man einfach draufdrückt und dann geht’s mit tierischem Druck ab, so lange man eben drückt. Die Kakerlake muss in ganz viel Klopapier eingewickelt werden, sonst ist sie auch nach minutenlangem Spülen immer noch da und kriecht sogar die glatten Klowände wieder hoch. Und es gibt nicht nur diese eine. Die Population von Kakerlaken in der JVA Mannheim reicht aus, um in längstens achtzig Tagen die ganze Welt entomologisch wiederzubevölkern, falls irgendwo ein Vulkan ausbricht oder ein Komet einschlägt.
    Es wurde mein erster Morgen im Knast. Sonntagmorgen, nicht geschlafen, viel nachgedacht und im Nachgang froh, dass ich nicht wusste, was noch alles vor mir lag. Es wäre nur schön gewesen, Russisch zu können, die nächtliche Amtssprache in Mannheim, schreiend zwischen den einzelnen Gefängnisflügeln hin und her. Sonntag, der 21. März 2010. Scheiß auf den Frühlingsanfang.

Der Knast und die virtuellen Kinder
    Am Tag nach der Verhaftung greift die ganze Routine, die auf jeden wartet, der frisch eingefahren ist. Und wahrscheinlich in meinem Fall noch ein paar Dinge mehr, weil ich ja aus der Sicht der Mannheimer Justiz nicht irgendein Häftling war. Ich war ein Promi (wie oft musste ich hören, dass man sich seit Vater Graf mit solchen auskenne), und entsprechend durfte ich mehrere Leute sehen, die man sonst nicht so einfach zu sehen bekommt: den Anstaltsleiter Schüssler, mit Vornamen Romeo, der inzwischen Landgerichtspräsident in Mosbach wurde und der sich nicht gerade der
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