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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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Dunkelhaarige hatte hinabgesehen, auf seine Hände, die einen hellen Mantel zuknöpften. Hatte gelächelt, über etwas, das die Frau neben ihm, blond, dunkler Anzug, sagte, ihre Körpersprache drückte Nähe aus. Sie gingen gemeinsam die Straße hinunter, die Ampel schaltete auf Grün, die Taxis fuhren an den beiden vorbei. Sie waren auf dem Weg zum Mittagessen in eines der umliegenden Restaurants und dachten nicht einmal an ihn. Abgegrenzt, professionell, ihre Therapeuten wären zufrieden mit ihnen.
    Claas hatte sie erschlagen, mit einem Vorschlaghammer, einem Baseballschläger, er sah zu viele amerikanische Serien. Erschossen, mit einer Flinte, den hellgrauen Tisch, unter dem sie sich versteckten, stieß er mit dem Fuß beiseite. Hatte sie an einen Stuhl gebunden, in ihre Gesichter geschlagen, meist in das des Dunkelhaarigen, wir sind da schmerzbefreit.
    In den letzten Wochen hatte er die Börsenkurse auf dem Desktop mitlaufen lassen, Dax, Dow, hatte zugesehen, wie die roten Zahlen größer wurden bei jeder Aktualisierung, in Zehnerschritten, Zwanzigerschritten, hatte Patienten warten lassen, sich zum Ende jeder Dreiviertelstunde auf das Nachgucken gefreut. Sicher war er nicht, ein offener Immobilienfonds, ob sie von den Bewegungen an den Börsen betroffen waren. Claas sah sie dennoch in ihren Schreibtischstühlen sitzen, zusammengesunken, katatonisch, die Pupillen geweitet, groß und dunkel und unfähig zu fokussieren. Noch weniger geneigt, sich diagnostizieren zu lassen, als sonst.
    Claas bestellte einen Kaffee, kein Bier, wegen der Kollegen. Den Kongress veranstaltete eine Pharmafirma, »Psychose und Lebensqualität«, er hatte gedacht, es wäre eine Gelegenheit, mit Theresa wegzufahren. Etwas gemeinsam zu machen, der Veranstalter übernahm Reisekosten und Hotel, nach dem Anruf aus Tavira war es zu spät gewesen, um abzusagen.
    Er sah an sich hinunter, Jeans, das schwarze Hemd am Kragen offen, er trug Lederschuhe mit dicker Gummisohle, keine Budapester, er hatte Budapester zu Hause im Schrank. Die knarrten bei jedem Schritt, dennoch hätte er sich wohler gefühlt. Lass dich nicht in Frage stellen. Das Eindringen Fremder in den privaten, geschützten Raum wirkt traumatisierend, der Betroffene erleidet Gefühle des Kontrollverlusts. Darüber gab es Studien. Er könnte Tula anrufen, sie bitten, Aufsätze aus den Fachzeitschriften herauszusuchen, zu kopieren und an seine Privatadresse zu schicken. Für Theresa. Als Reiselektüre. Claas zog das Handy aus der Tasche, kein Empfang.
    Er hatte ein Taxi zum Bahnhof nehmen müssen, achtzehn Euro dreißig, unnötige achtzehn dreißig. Er bezahlte alles. Fast alles. Theresas Privatdozentengehalt deckte nicht mal die Charlottenburger Wohnung ab.
    »Schon wieder Bescherung«, hatte Tula vor einigen Wochen gesagt, mit dem Kinn auf die beiden Pakete gedeutet, die in seinem Eingangskorb lagen. Danach hatte er sich die Pakete postlagernd schicken lassen, sie am Schalter abgeholt, in einer Einkaufstasche in die Praxis gebracht.
    Die meisten Fahrgäste kannten die Strecke, zogen kurz bevor ihr Halt angesagt wurde die Stöpsel aus den Ohren, wickelten die Kabel sorgfältig um ihre iP ods und steckten sie in die Jackentaschen.
    ***
    Sie hätte die Pfannkuchen nicht herschenken dürfen, musste eilen, wollte sie wieder zu Hause sein, wenn er kam. Elsa schob die Haustür auf, weich legte sich Wärme auf ihr Brustbein, auf Arme, Wangen, Waden, die Innenwände ihrer Nase, verschloss hell ihre Augen, trocknete den Rachen mit dem ersten tiefen Atemzug aus. Sie blieb stehen, trug nur die weiße Bluse und schwitzte dennoch, der Baumwollstoff an den Schultern mit Spitze durchbrochen.
    »Raffiniert«, nennt Erika die Bluse. Sie besuchen eine von Erikas Arbeitskolleginnen in ihrem Schrebergarten, sitzen nebeneinander in der Hollywoodschaukel und trinken Apfelmost.
    »Sei nicht albern«, sagt sie, stößt mit der Schulter nach Erikas Zeigefinger, der über die winzigen Löcher der Spitze fährt.
    Elsa dachte an die feuchte Kühle, die allmählich aufgestiegen war, an die frisch gemähten Rasenschnipsel, die auf dem Heimweg nass an ihren Schuhen geklebt hatten, und machte den ersten Schritt auf die warmen Pflastersteine. Neben der Haustür war ein rötlicher Fleck, gestern war er nicht da gewesen, Fliegen krabbelten ihre seltsamen Dreiecke darauf.
    Die Kneipe an der Ecke war weg. »Saufen sich erst die Köppe weich und machen dann zu Hause ihren Frauen Kinder«, Erika deutet ungeniert durch das
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