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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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stellen, dunkelgraue Anzüge, hellblaue Hemden, Claas hob die Hand, wedelte vor der Lichtschranke der Speisewagentür hin und her, sie glitt geräuschlos zur Seite. Rechts und links an den Abteilwänden waren Bänke und Tische installiert, in der Mitte ein Tresen, er ging auf ihn zu. Die meisten Plätze waren besetzt, diagonal gestreifte Krawatten, viele tranken Bier, trübe Weizen standen vor ihnen auf den Tischen. Ihre Füße, in braunen Lederschuhen, spitz zulaufend, aber nicht zu spitz, hatten sie in den Mittelgang gestreckt, Claas musste achtgeben, nicht auf sie zu treten. Sie trugen keine Krawattennadeln, keine Brillen, aber Eheringe, wenn sie allein saßen, hatten sie Stöpsel in den Ohren.
    Er blickte ihnen nicht ins Gesicht, wandte sich ab, sobald einer ihn ansah, hatte Angst, der andere könnte stocken. Innehalten in der Bewegung, genauer hinsehen, Feuerwerk in den Synapsen der Occipitallappen, ihn wiedererkennen. Im letzten Frühjahr war er in Frankfurt gewesen, eine Weiterbildung, hatte er Theresa gesagt, obligatorisch. Sie wusste nicht, dass er unter den Tankerbildern gesessen hatte. Die Fotografien waren aus der Vogelperspektive aufgenommen, viel Dunkelrot und Tiefmeerblau. Die Wände, der Tisch, die Stühle waren grau, freundlich, sachlich hellgrau, in der Mitte der Tischplatte stand ein Tablett mit Wasser, Saft- und Softdrinkflaschen, ein Öffner, Servietten und umgedrehte Gläser daneben. Claas hatte abgelehnt, auch den Kaffee, den sie ihm wiederholt anboten, unsicher, welche Botschaft er damit sendete.
    Sie waren zu zweit gewesen. Jünger als er, einer dunkelhaarig, vereinzelt weiße Partien an den Schläfen, der andere mit Halbglatze und braunem Haarkranz, beide trugen Anzüge, helle Hemden, ihre Krawatten rosa und hellblau. »Wir sind Liquidatoren«, hatte der Dunkelhaarige gesagt, hatte eine Pause gemacht, um die Wirkung des Wortes Liquidatoren an Claas’ Gesicht abzuschätzen. »Das heißt, wir investieren nicht, wir halten keine Kredite, wir verwerten.«
    Wieder hatten sie geschwiegen. »Ich kann Ihnen da was empfehlen«, hatte Claas in die Stille hinein gesagt. »Eine vergleichende Studie, aus der Schweiz. Investmentbanker und Psychopathen.« – »Nur zu«, hatte der Dunkelhaarige geantwortet, »wir sind da schmerzbefreit.« – »Spitzenwerte auf der Skala Egoismus, natürlich«, hatte Claas gesagt, die genauen Daten fielen ihm nicht ein. Der Dunkelhaarige begann in dem Ordner vor sich zu blättern. »Und hinsichtlich der Tendenz, Fragen unaufrichtig zu beantworten«, hatte er hinzugesetzt. Von der Gewalt der Zahlen hatte er gesprochen, sich gefragt, was er damit eigentlich meinte.
    »Wir würden Ihnen bei einer Lösung nicht im Weg stehen«, hatte der andere gesagt, war mit den Fingernägeln durch den Haarkranz über seinem Nacken gefahren, »aber wir sind unseren Eignern schuldig, dass wir schnell und ökonomisch sinnvoll handeln.« Von Umschuldung und Finanzierung hatten sie gesprochen, von Zwang und Verfahren und gezwungen sein. Claas hatte die Tanker gemustert, nach einer Weile konnte er weiße Möwenrücken ausmachen, die die Schiffe umkreisten.
    Er konnte sich genau an den Tag erinnern, als er unterschrieben hatte. Theresa hatte eine braune Bluse mit großen weißen Punkten getragen, einen beigefarbenen Rock, Zander hatten sie danach gegessen, in einem Fischrestaurant mit Blick auf den Wannsee. Angeheitert vom Sekt, den sie mit dem Kundenberater auf leeren Magen getrunken hatten, ihre Hände auf der Tischdecke ineinander verschränkt, ein Boot wäre auch schön, hatte er mit Blick auf die weißen Segeldreiecke gesagt.
    Vor zwei Jahren hatte jemand von der Volksbank angerufen, er heiße Glück, habe aber keine glückliche Nachricht. Von Not leidenden Krediten hatte er gesprochen, von Forderungen, die in Paketen verkauft wurden. »Und ich«, hatte Claas gefragt, nicht gewusst, was er damit genau meinte. Abwarten solle er, der Käufer würde sich melden.
    Der Termin in Frankfurt hatte um die Mittagszeit stattgefunden. Nachdem sich die beiden Berater mit »Alles Gute« verabschiedet hatten, war er aus dem gläsernen Foyer getreten, ihre Blicke auf seinen Rücken gerichtet, wie er meinte. Hatte ein Taxi herangewunken, die Sonne schien, er war eingestiegen, zum Bahnhof. Das Taxi hatte gleich nach dem Anfahren an einer roten Ampel halten müssen, der Dunkelhaarige war aus dem Gebäude gekommen, beinahe hätte Claas sich geduckt, den Oberkörper seitlich auf die Rückbank gelegt. Doch der
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