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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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sich, mit unterschiedlichen in die Schule zu gehen. Seine Arbeitsblätter stapelt er auf dem Schreibtisch nach Fächern geordnet. Du gehst nur in das Zimmer, um morgens den Schlafgeruch auszulüften, freust dich über jedes benutzte Wasserglas, jedes zusammengeknüllte Taschentuch auf dem Boden. Lucas vergisst nie etwas. Weder den Elternabend noch das Weihnachtsbasteln, heftet die Einladungen mit Tesafilm an die Wand über seinem Bett, bringt sie dir am entsprechenden Tag, wenn du nicht hingehst, wird er schweigsam.
    Irgendwann bist du morgens am Fenster stehen geblieben, weiß und neblig war es draußen. Hast die Kisten aus dem Regal gezogen. »Was hast du gemacht, Mama?«, hat er gerufen, als er aus der Schule kam. Hast sie umgedreht. Zufrieden den harten Tönen gelauscht, mit denen die Legosteine, die Körperteile der Plastikmonster, »Bei-jon-nickels«, sagt er, bemüht jeden einzelnen Vokal richtig zu erwischen, und das Playmobil auf den Fußboden prasselten. Die Autos schepperten blechern, die großen klangen dumpfer. Bist mit den Füßen durch das Spielzeug geschlurft, wie früher als Kind durch Herbstlaub, hast die Haufen ineinandergezogen, miteinander vermischt, zum Schluss eine Schicht Bilderbücher drauf verteilt.
    Die Heizung. Die Heizung hast du vergessen. Gehst näher ran, kniest auf dem Küchenboden, eingetrocknete braune Spritzer, Kaffee, und unten, dort, wo die Rippen ineinander übergehen, graue Halbmonde aus Staub. Wenn du ihn wegwischst, musst du wieder fegen, denkst du, Rauchen, denkst du, sie werden es riechen. Beruhig dich, es ist nur der Heizungsableser, und wirf endlich die Liste weg.
    Stellst dich ans Fenster, öffnest es weit, bläst den Rauch hinaus. Siehst hinab auf die Promenade, die Bänke sind noch unbesetzt, die Platanenstämme olivgelb gescheckt, als trügen sie Tarnfarben, die Äste weiter oben glatt und grau. Der Luftzug drückt den Rauch wieder in die Küche, fährst mit der Hand durch, willst ihn auseinandertreiben, in anmutigen Kreisen zieht er um deine Finger.
    *
    Lucas hielt den Arm vor sich, kniff ein Auge zu und maß. Der Sonnenstreifen auf dem Rollo war so breit wie sein Unterarm, vom Handgelenk bis zum Ellenbogen, das Licht machte die Clownsgesichter blass und durchsichtig. Sie hatte ihn nicht geweckt, war bereits auf, er hörte sie im Flur, sie sprach mit jemandem. Lucas stand auf, zog an der Rolloschnur, das letzte Stück musste er mit der Hand hochwickeln, Schritte im Flur, in der Küche.
    Er nahm Socken aus der Schublade, sie hörte ihn nicht kommen, griff nach der Zigarettenpackung auf dem Küchentisch, ein Mann im blauen Overall kniete vor der Heizung. Das Feuerzeug zündete, sie hustete, zog Schleim hoch, er ging an ihr vorbei.
    »Du bist gemein«, Lucas stampfte, der Küchenboden hart unter seiner Ferse. Der Mann wandte sich um, musterte das Spiderman-Unterhemd, Unterhose, die Socken in seiner Hand.
    »Zieh dich an«, sagte sie.
    Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, »du hast mich nicht geweckt«, beugte sich vor und zog rasch eine Socke über die Zehen, über die dunklen Nagelränder. Sie sah an die Wand, da hing ein Kalender, sie zählte die Kreuze in den Datumsfeldern, ihre Augen wanderten zu dem Feld, das er mit Filzer rot umrandet hatte, ihre Lippen bewegten sich.
    »Den neunundzwanzigsten haben wir, neunundzwanzigster August, Freitag«, sagte der Mann vor dem Heizkörper.
    Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme.
    »Siehst du?«, sie sagte es, als würde sie am liebsten »Ätsch« hintendransetzen, »nächste Woche fängt die Schule an, ganz bekloppt bin ich nicht.«
    »Du kannst mich trotzdem wecken.«
    Lucas sah zu, wie der Mann das Röhrchen herausnahm, gegen das Licht hielt, etwas aufschrieb und ein neues aus der Tasche holte, um es einzusetzen. Die Röhrchen waren aus Glas, mit neongrüner Flüssigkeit gefüllt, als wären sie radioaktiv oder giftig oder so. Er hätte es gern in die Hand genommen, traute sich nicht zu fragen, Hunger hatte er.
    »Darf ich Frosties?«
    »Milch ist alle.«
    Sie wollte ihm den Rücken zudrehen, sah zu dem Mann herüber, überlegte es sich anders.
    »Ich geh gleich welche holen«, sagte sie, sanfter jetzt.
    ***
    Claas hatte keinen Rollkoffer, er hatte eine Umhängetasche, schwarz, in braunen Buchstaben war BREE an der Seite aufgenäht, alle anderen hatten Rollkoffer. Er hatte die Tasche gekauft, als er mit den C-Herren auf Tennisreise gefahren war, alle hatten damals solche Taschen gehabt. Lass dich nicht in Frage
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