Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
Vom Netzwerk:
Schaufenster auf die Menschenklumpen am Tresen, »und ich hab den Schlamassel.« Erika war Bezirksschwester gewesen, Hebamme eigentlich. Im Frühjahr hatte in den Räumen ein Café aufgemacht, die Tapeten hatten sie runtergerissen, die nackten Wände erinnerten an Krieg. Sofas standen kreuz und quer und kleine Couchtische und Sessel, die nicht zu den Sofas passten, und alle mussten übereinandersteigen, wenn sie zu ihren Plätzen wollten.
    Bei den neuen Geschäften war seltsam unklar, was sie verkauften. In den Schaufenstern hingen Plakate, neben den Türen standen Aufsteller mit bunter Schrift. Selten waren es Wörter, meist nur Buchstabenfolgen, Abkürzungen oder Englisch, sie war nicht sicher. In manchen Läden reihenweise Tische mit Computern, Internetcafés, das hatte sie gelernt, aber auch hier blieb unklar, was genau dort angeboten wurde.
    Vor Günthers stand eine Küchenanrichte auf dem Gehweg, daneben ein Tisch mit Plastikkörben, in denen, so gingen sie kaputt, nicht einmal sortiert, dachte Elsa, Vasen und Aschenbecher lagen. Brillen und Blechdosen und Kaffeetassen. Einen Sommer lang hatte Günthers, Wohnungsauflösungen, Kellerentrümpelungen, hole alles ab , stand auf dem Schild, alles doppelt unterstrichen, sie gezwungen, einen Umweg zu machen, hin und zurück mit dem Einkauf. Erikas Telefontisch hatte auf dem Gehweg gestanden, ihr Schirmständer, der rot-schwarz karierte Papierkorb. Später die kleine Kommode aus dem Flur, Erikas Handschuhe, Mützen, Schals, reine Schurwolle, die in ordentlichen Stapeln zwischen Mottenpapierstreifen in die Schubladen gehörten, lagen daneben. In einem Pappkarton, 1 Euro stand auf dem Schild. Das Geschirr mit dem orangebraunen Blumendekor, sie hatten es zusammen gekauft, bei Karstadt, dreimal die Woche Kaffee daraus getrunken, befand sich ebenfalls in einem Karton, 2 Euro/Stück . Sie hatte Erikas Nachtschrankschublade aufgezogen, zum ersten Mal, fiel ihr auf, Einwegspritzen, verschweißte Kompressen, das Blutzuckertestgerät, das aussah wie ein Kugelschreiber. Ein Zettel, auf dem Insulin bestellen!!! stand, darunter die Daten 18.01. und 18.03. Schlächter, hatte sie gedacht, die Porzellansplitter auf dem Boden des Geschirrkartons betrachtet. Zerstückelt hatte er sie, die Überreste in zweiundzwanzig Teile zerstückelt und dann verteilt. Elsa hatte ihre Handtasche geöffnet, die Kompressen, die Spritzen, das Testgerät mit beiden Händen zusammengerafft und hineingetan. Das ist Diebstahl, hatte sie gedacht, den Zettel in die Rocktasche gesteckt. Die Schublade hatte sie offen gelassen, war rasch weitergegangen. Zu Hause hatte sie nicht gewusst, wohin mit den Sachen, hatte sie eine Weile in der Tasche mit sich rumgetragen, sie schließlich im Verbandskasten in der Küche untergebracht.
    Am nächsten Tag war sie an der Ecke weiter geradeaus gegangen, erst bei der nächsten Querstraße rechts abgebogen, und dann wieder links, hatte sich von hinten an den Edeka herangeschlichen. Erikas Nichte aus Stuttgart hatte sie nicht kennengelernt, ein Anwalt war mit der Abwicklung des Nachlasses betraut gewesen, so hatte er sich ausgedrückt, als er sie um den Zweitschlüssel von Erikas Wohnung bat.
    Fast wäre sie am Edeka vorbeigegangen, Elsa nickte der Kassiererin zu, der bayerischen, sie brauchte keinen Wagen, ein Korb reichte, sie kannte sie alle, die Bayerische rollte das R und sagte Grüß Gott.
    »Der Junge kommt«, sie legte die Gummibärchen auf das Kassenband.
    »Das ist fein«, die Bayerische lächelte, zog die Schokoladentafeln über den Scanner, einer ihrer Schneidezähne war dunkel verfärbt.
    Erika hätte sie gescholten, hätte nie verstanden, wie glücklich es machte, ihn anzusehen. Gewiss, sie steckte ihm was zu. Nicht viel, einen Zehner oder Zwanziger, nur wenn sie nichts anderes im Haus hatte Fünfziger. Sie faltete sie vorher. Ihm einen glattgestrichenen Schein aus ihrem Portemonnaie zu reichen, zum Abschied womöglich, erschien ihr nicht recht. Machte es schäbig. Sie faltete die Scheine in der Mitte, gab acht, die Kanten genau aufeinander zu legen, fuhr mit den Nägeln über die Falz, kniff das Papier zusammen und faltete wieder die Mitte. So lange, bis der Schein zu einem kleinen quadratischen Paket geworden war, sie wickelte Band drum, machte eine Schleife, ein kleines Geschenk. Sie legte das Paket auf seine Untertasse, neben den Teelöffel. »Sieh, was die Wichtel gebracht haben«, sagte sie.
    ***
    Das Treppenhaus erlösend kühl, die Wände beinahe feucht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher