Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
Vom Netzwerk:
hatte sich auf den warmen Boden gesetzt, den körperlosen Stimmen gelauscht, manchmal verstand sie einzelne Wörter, »Game over«, rief jemand ständig. Lachen, unartikulierte Rufe, von Zeit zu Zeit wurde eine Autotür zugeschlagen, Musik drang aus den geöffneten Fenstern der Vorbeifahrenden, alles gut gemischt von den Hauswänden, zwischen denen der Schallwellenteppich hin und her geworfen wurde. Schließlich war sie in die Küche gegangen und hatte Eis geholt, triple chocolate , braune Schokolade, weiße Schokolade und Schokoladenstückchen, hatte so schnell gegessen, dass ihre Stirn von der Kälte schmerzte. Die Musik wurde lauter, jemand musste die Cafétür geöffnet haben, Elvis, A little less conversation, a little more action, please, Pfiffe ertönten. Ebba stand auf, stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte nicht erkennen, ob auch getanzt wurde. Sie hatte zwei Finger auf den Knochen zwischen den Augenbrauen gepresst, an Winter gedacht. Im Winter drang nur das gleichmäßige Brummen der Räder auf dem Kopfsteinpflaster nach oben, den Rest schluckte der Schnee.
    Die leere Eispackung lag noch immer auf dem Boden, Wespen krabbelten über die eintrocknenden braunen Schlieren, über den Löffel, flogen auf, als sie mit dem Fuß dagegenstieß. Ebba gab acht, Abstand zu halten, er hatte sich in das Café gesetzt. Die hellblonden Haare, der rötliche Scheitelstrich waren gut zu erkennen, er hatte seine Unterarme auf dem Tisch verschränkt, seinen Kopf darauf abgelegt, hob ihn erst wieder, als die Bedienung eine Tasse vor ihn stellte. Er sah zu ihr hinüber, unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück. Wartete, zählte die Sekunden, zählte, bis sie dreißig beisammenhatte, und trat wieder an die Brüstung.
    *
    Die Sonne ließ die Übelkeit wieder zu Tinte werden, schwarzer Tinte, die sich wolkig in seinem Magen ausbreitete. Das Café auf der anderen Straßenseite war geöffnet, Kletterrosen rankten an beiden Seiten des Schaufensters hinauf, die Hauswand hüfthoch mit grün lasierten Kacheln verkleidet, vier Tische standen auf dem Gehweg. Ein Pärchen saß schweigend vor abgegessenen Frühstückstellern und las Zeitung. Nicolai setzte sich neben die Eingangstür in den Platanenschatten, so dass er das Haus gegenüber im Blick hatte.
    Eine Frau mit sehr kurzen blonden Haaren hatte begonnen, den Tisch vor dem Pärchen abzuräumen, die Teller zu stapeln. Salatblätter lagen darauf, vereinzelte Oliven, Käserinden und Krümel, ausgelutschte Orangen und Pampelmusenschalen, Erdbeerblätter, Melonenschiffchen. Um die beiseitegeschobenen Marmeladen- und Honigschälchen tanzten Wespen, beim Anblick der schmelzenden Butter stob die Tintewolke weiter auseinander.
    »Espresso, bitte«, sagte Nicolai zum Rücken der Blonden, der Rücken blieb unbeirrt über den Tisch gebeugt. Er überlegte, ob er die Bestellung wiederholen sollte, lauter diesmal, stattdessen verschränkte er die Unterarme an der Tischkante und legte den Kopf ab. Speichel sammelte sich in seinem Mund, er öffnete die Lippen, ließ ihn hinausrinnen, sah zu, wie die Tropfen aufschlugen, dunkle glänzende Flecke auf den Pflastersteinen, Bläschen obendrauf.
    Ein Geräusch, sehr dicht bei seinen Ohren, er hob den Kopf, die Blonde hatte Tasse und Wasserglas neben ihm auf den Tisch gestellt, der Espressodampf roch bitter, füllte seinen Mund erneut mit Flüssigem.
    Die Cafétür ging auf, Minnie Mouse, musste er unvermittelt denken. Sie setzte sich auf die Eingangsstufe, schmiegte sich an die Wand, eine Wange an die grünen Kacheln gelegt, kühl mussten sie sich anfühlen. Alles Weiße an ihr war sehr weiß, ihre Zähne, die Augäpfel in der satthellbraunen Haut. Alles Schwarze sehr schwarz, die Augenbrauen, sehr dicht und gerade, ihr Haarknoten und der Kranz gelockter Strähnen, die bei jeder Bewegung wippten, die Leberflecken auf ihren Schlüsselbeinen, ihre Pupillen. Alles Rote, ihre Lippen, Finger- und Zehennägel, der Strohhalm der Afri-Cola-Flasche in ihrer Hand, tief kirschrot.
    Auf dem ihm zugewandten Schulterblatt, glatt und satthellbraun, ein Schmetterling. Ein kitschiger kleiner Schmetterling, schlecht gestochen in ausgefransten, krumpeligen dunklen Linien. Sie trug einen Jeansminirock, darüber eine viereckige Schürze, fleckenbedeckt, streckte glatte, satthellbraune Beine darunter hervor, streckte sie aus, auf den Gehweg. An ihren Füßen schwarze Flipflops.
    Sie sah auf den Boden, musterte die Pflastersteine, Nicolai schob seinen Schuh über den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher