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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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drehte einmal, drehte zweimal und zog die Tür auf.
    Er war es gar nicht. Es war ein Fremder, mit grauen Haaren und einer blauen Schirmmütze über dem Handgelenk. Sie versuchte Luft einzuziehen, ohne dass der Mann es merkte, ohne dass sich ihre Nasenflügel weiteten.
    »Einen guten Morgen«, sagte er, und Elsa war sicher, er roch es ebenso wie sie, frischer Toilettengang, eingekleidet in Lavendel. »Wir sind der Ablesedienst.« Der Mann sah an ihr vorbei in den Flur.
    Richtig, sie hatte die Heizkörper frei geräumt, gestern Abend das Telefontischchen beiseitegeschoben, es war ihr entfallen. Der Becher mit den Stiften war dabei umgekippt, sie hatte sich hinknien müssen, um sie aufzusammeln.
    Elsa sog erneut Luft ein.
    »Können Sie später wiederkommen?«
    Der Mann schüttelte den Kopf, ging an ihr vorbei, deutete auf die Tür am Ende des Flures.
    »Wohnzimmer?«
    Sie nickte. Ging in die Küche und öffnete das Fenster, öffnete es weit. Im Hinterhof wuchsen Sträucher mit weißen Beeren, als Kind hatte sie die Tretminen genannt. Eine Reihe Mülltonnen, gelb, blau, schwarz und braun, stand vor der Mauer, die den Hof vom Parkplatz dahinter trennte. Elsa konnte den Mann im Wohnzimmer hören, es klang, als würde er irgendetwas festschrauben. Auf der Mauer waren Stränge rostigen Stacheldrahts gespannt, Krähen mit durstig geöffneten Schnäbeln saßen darauf, der Parkplatz war leer, eine Reihe flacher Garagen, die Tore grau gestrichen. Sie hörte Schritte im Flur, er ging ins Schlafzimmer, danach käme das Bad. Rasch öffnete sie die Kühlschranktür und holte den Teller hervor.
    »Warten Sie«, rief sie. Der Mann drehte sich um. »Kommen Sie hier herein.«
    Elsa deutete auf die Pfannkuchen, große Placken Zuckerguss fehlten, die Löcher sahen aus wie Inseln in einem klebrigen Meer.
    »Sie sind kaputtgegangen«, sie hatte vergessen, die Klarsichtfolie in den Müll zu tun, sie lag neben dem Teller, weiß verschmiert, »der Guss ist kleben geblieben.«
    Er aß den Kuchen mit wenigen Bissen, sah aus dem Fenster, Pflaumenmus quoll auf seinen Daumen.
    »Darf ich?« Der Mann zeigte auf die Spüle, wusch sich die Hände, trocknete sie an einem Geschirrtuch ab.
    »Ist es viel«, fragte Elsa, als er gehen wollte.
    ***
    Die Decke knistert, winzige Funken in den blauen Falten, du legst sie zusammen, Saum auf Saum. Faltest sie zu einem Rechteck, so lang wie dein Körper in Seitenlage, Knie an die Brust gezogen, ein Kissen auf dem Gesicht. Von den Nähten her haben sich helle Flecken ausgebreitet, das Kunstleder hat sich in Placken abgelöst, dort, wo die Sofalehne in die Sitzfläche übergeht. Wattiges Vlies drängt hervor, Krümel verfangen sich darin. Bedeckst sie mit dem Rechteck, streichst mit beiden Händen die Haare nach hinten, hattest sie noch waschen wollen, hast den Wecker weitergestellt, bindest sie zu einem Pferdeschwanz zusammen.
    Musst nur noch den Zettel, auf dem steht die Liste, zerknüllen und in den Müll werfen, in den fast leeren Eimer. Hast den Rest gestern Nacht runtergebracht, ein Tier ist geflohen, als du im Hof das Licht angeschaltet hast. Ein kleines Tier, vom Deckel der Mülltonne ist es gesprungen, du hast es aufkommen hören, bist langsam auf die Tonnen zu, achtgebend, kein Geräusch zu machen, nicht auf die Scherben zu treten, hast dich gefragt, warum.
    Das saubere Geschirr liegt hoch gestapelt auf dem Abtropfgitter, verdächtig hoch, räumst die Hälfte in den Schrank, schiebst den Altpapierstapel mit dem Fuß ein Stück unter die Küchenbank, lauschst in den Flur. Lucas schläft, wirst ihn wecken, wenn es klingelt, stehst immer noch neben dem Tisch, den Zettel in der Hand, setz dich still und warte, denkst du und bleibst stehen.
    Lucas ist ordentlich. Er räumt auf, jeden Abend, bevor er sich schlafen legt. Ist zu den Gemüsehändlern gegangen, hat nach Obstkisten gefragt, die Kisten unter den Armen nach Hause getragen, seine Schenkel weiß zerschrammt. Hat »Die drei ???« gehört, immer wieder die gleiche CD , der Player auf Repeat, sein Spielzeug sortiert, langsam und sorgfältig. Jeweils eine Kiste für die großen und die kleinen Autos, eine für Playmobil, für Lego, für Flugzeuge und Hubschrauber, mit Filzstift hat er sie beschriftet, die für die kleinteiligen Sachen vorher mit Plastiktüten ausgelegt, damit nichts herausfällt. Die Wäsche stopft er unzusammengelegt in die Kommode, aber die Hosen zu den Hosen, die Pullover zu den Pullovern, jede Socke hat ein Gegenstück, er weigert
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