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Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm

Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm

Titel: Rebecka Martinsson 01 - Sonnensturm
Autoren: Åsa Larsson
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schaffen, die vor ihm lagen, wie um klarzustellen, dass ihre Audienz eigentlich zu Ende sei. Die Post des Tages lag auf einem ordentlichen Stapel. Einige Erzeugnisse des Silberschmieds Georg Jensen standen in Reih und Glied am Schreibtischrand. Keine Fotos. Sie wusste, dass er verheiratet gewesen war und zwei erwachsene Söhne hatte. Aber das war schon alles. Er erwähnte seine Familie nie. Und auch sonst sprach niemand darüber. In dieser Kanzlei erfuhr man nur langsam etwas. Die Partner und die älteren Anwälte waren zwar versessen auf Klatsch, aber klug genug, um untereinander zu klatschen, nicht mit den jüngeren. Und die Sekretärinnen würden sich niemals trauen, irgendwelche Geheimnisse weiterzutragen. Aber ab und zu trank jemand auf einem Fest einen über den Durst und erzählte dann Dinge, die nicht erwähnt werden durften, und auf diese Weise gehörte auch Rebecka langsam zu den Eingeweihten. Sie wusste, dass Måns zu viel trank, aber das wussten fast alle, die ihm auf der Straße begegneten. Er sah eigentlich gut aus, mit seinen dunklen Locken und seinen blauen Husky-Augen. Aber langsam war er doch ziemlich verlebt.
    Tränensäcke unter den Augen, ein wenig Übergewicht. Er gehörte noch immer zu den absolut besten Steuerfachleuten im Land, egal, ob es sich um Strafprozesse oder Verwaltungsangelegenheiten handelte. Und solange er genug Geld hereinholte, konnte er nach Ansicht der Kollegen saufen, soviel er wollte. Wichtig war das Geld. Jemanden dazu zu bewegen, dass er mit dem Trinken aufhörte, würde die Kanzlei vermutlich teuer zu stehen kommen. Entzugsklinik und Krankschreibung, das kostete, vor allem verlorene Einnahmen. So ging es sicher vielen. Das Privatleben war das Erste, was dem Alkohol zum Opfer fiel.
    Rebecka fühlte sich noch immer gedemütigt, wenn sie an die Weihnachtsfeier im vergangenen Jahr dachte. Måns hatte an diesem Abend mit allen anderen Anwältinnen getanzt und geflirtet. Gegen Ende des Festes war er dann auch zu ihr gekommen. Mitgenommen, betrunken und voller Selbstmitleid hatte er ihr den Arm um den Nacken gelegt und einen unzusammenhängenden Vortrag gehalten, der mit dem peinlichen Versuch geendet hatte, sie zu sich nach Hause zu nehmen, oder vielleicht auch nur in sein Arbeitszimmer, was wusste sie schon. Seither hatte sie immerhin gewusst, was sie in seinen Augen war. Der letzte Außenposten. Die, bei der man sein Glück versucht, wenn man bei allen anderen gescheitert ist und nur noch einen halben Millimeter vor der Bewusstlosigkeit steht. Seit damals war die Beziehung zwischen ihr und Måns abgekühlt. Er lachte und redete nie mehr so ungezwungen mit ihr wie mit allen anderen. Ihre Kommunikation fand vor allem per Mail und durch Zettel statt, die sie auf seinen Schreibtisch legte, wenn er nicht im Haus war. In diesem Jahr hatte sie die Weihnachtsfeier nicht besucht.
    »Dann sagen wir Urlaub«, sagte sie, ohne auch nur einen Mundwinkel zu verziehen. »Und ich nehme den Laptop mit, dann kann ich da oben doch einiges erledigen.«
    »Na gut, mir ist das egal«, sagte Måns hörbar beleidigt. »Die Last haben ja deine Kollegen zu tragen. Ich gebe Wickman Industrimontage also weiter.«
    Rebecka zwang ihre Hände, still zu bleiben. Dieser Arsch. Er wollte sie bestrafen. Wickman Industrimontage war ihr Mandant. Sie hatte diese Firma immer unterstützt, hatte sehr guten Kontakt zu den Leuten, und wenn erst alle Steuerangelegenheiten geklärt wären, wollte sie den Generationswechsel in diesem Familienbetrieb vorbereiten. Und die Leute mochten sie gern.
    »Tu, was du für richtig hältst«, sagte sie mit einem kaum merklichen Schulterzucken und ließ ihre Augen über die verschlissenen Teppichfransen auf dem Boden wandern. »Du kannst mich per Mail erreichen, wenn etwas sein sollte.«
    Måns Wenngren hatte Lust, zu ihr zu gehen, ihre Haare zu packen, ihren Kopf nach hinten zu reißen und sie dazu zu zwingen, ihm in die Augen zu sehen. Oder ihr einfach eine zu scheuern.
    Sie drehte sich um, um das Zimmer zu verlassen.
    »Und wie kommst du dahin?«, fragte er rasch. »Gibt’s einen Flug nach Kiruna, oder musst du dich in Umeå einer Rentierkarawane anschließen?«
    »Es gibt einen Flug«, antwortete sie in neutralem Ton.
    Als habe sie seine Frage richtig ernst genommen.
     

 
    POLIZEIINSPEKTORIN ANNA-MARIA MELLA ließ sich in ihrem Schreibtischsessel zurücksinken und musterte lustlos die vor ihr ausgebreiteten Unterlagen. Alter Sauerteig. Ermittlungen, die ins Stocken geraten
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