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Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
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man nicht einfach liegen lassen. Das wäre Verschwendung«, sagte er.
    Draußen vor der Tür schüttelte Mr Quibbes eine schwarze, ägyptische Zigarette aus einer flachen Blechschachtel, klopfte mit dem Ende der Zigarette auf die Handfläche, zündete sie an und stapfte mit hochgeschlagenem Kragen voran. Eine verdutzte Lara folgte ihm automatisch.

    Hätte irgendjemand Lara später gefragt, welcher der seltsamste Moment ihres Lebens gewesen sei, hätte sie es nicht mit Bestimmtheit beantworten können. Sie hätte wohl etwas gesagt wie: »Ich weiß nicht, aber er begann, als ich damals an meinem Geburtstag aufwachte.«
    Und so bekam die Kette der seltsamen Begebenheiten im Leben der Lara McLane ein neues Glied, während sie mit Mr Baltasar Quibbes – wie dieser sich mittlerweile vorgestellt hatte – an einem kleinen runden Tisch in einem Starbucks Coffee House in Edinburgh saß, eine Tasse heißen Kakao trank und ein paar traumwandlerische Dinge zu hören bekam.
    Â»Du hast wahrscheinlich bemerkt, dass dein Geburtstagsgeschenk kein gewöhnlicher Schlüssel ist«, sagte Mr Quibbes, nachdem Lara ihm ihren Tagesverlauf geschildert hatte.
    Â»Sie wollen mich auf den Arm nehmen«, antwortete Lara leicht gereizt. »Ja, verdammt nochmal, das habe ich gemerkt! Wollen Sie mir nun vielleicht endlich erklären, was das alles zu bedeuten hat? Glauben Sie mir, ich hasse Rätsel!«
    Doch Mr Quibbes zeigte sich unbeeindruckt.
    Â»Dein Vater war ein Schlüsselmacher«, fuhr er fort.
    Â»Ich weiß.«
    Â»Was du aber sicherlich nicht weißt, ist, dass dein Vater kein gewöhnlicher Schlüsselmacher war.«
    Lara zog die Augenbrauen hoch.
    Â»War er nicht?«
    Â»Nein«, stellte Mr Quibbes entschieden fest. »Genauso wenig wie ich einer bin oder Tom, der junge Mann, der bei mir arbeitet.«
    Â»Derjenige, der nichts von sprechenden Raben hält?«
    Es war eigentlich egal, wie viel verrückte Dinge heute noch geschehen mochten. Nur sollte dieser Mr Quibbes endlich mit dem rausrücken, was er wusste.
    Â»Genau der«, bestätigte Mr Quibbes mit einem Lächeln. Ȇberleg doch einmal, Lara. Der Schlüssel hat dich in der Victoria Street abgesetzt.«
    Â»Was heißt hier abgesetzt? Meinen Sie etwa …?«
    Â»Genau das meine ich. Denk mal darüber nach, was wäre, wenn nicht die Tür bestimmt, wohin es geht, sondern der Schlüssel, den man hineinsteckt.«
    Lara glotzte. Der ältere Herr vor ihr wollte ihr tatsächlich erzählen, dass es magische Schlüssel gäbe.
    Â»Sie sind verrückt«, sagte sie schließlich.
    Mr Quibbes’ Lächeln wurde zu einem breiten Schmunzeln.
    Â»Nun, das würde ich vielleicht so nicht sagen. Ich bin eher etwas, mhm, unkonventionell.«
    Lara wollte aufstehen, aber Mr Quibbes legte rasch eine Hand auf ihren Arm, woraufhin er ein wildes Funkeln von Laras Seite erntete.
    Â»Bitte!«, begann er. »Lass mich dir das erklären. Dann liegt es bei dir, mir zu glauben oder mich für verrückt zu erklären.«
    Schnaubend ließ sich Lara zurück in den Stuhl sinken.
    Â»Also«, setzte Mr Quibbes an. »Es gibt einige Berufe, die anders sind als die anderen. Ihnen haftet etwas Mystisches, etwas Verwegenes an. Mit ihnen kann man interessante, aber auch grässliche Dinge anstellen.«
    Â»Sie meinen das völlig ernst, oder?«, vergewisserte Lara sich.
    Â»Dein Vater hatte so einen Beruf. Und ich habe ihn auch. Schlüssel- und Uhrmacher. Mechaniker.«
    Die erneute Erwähnung von Laras Vater zeigte ihre Wirkung. Eine leichte Entspannung, ein Funke Neugierde machte sich auf Laras Gesicht breit, als sie daran erinnert wurde, warum sie eigentlich mitgekommen war. Richtig, der Mann auf der anderen Seite des Tisches wusste etwas über ihren Vater.
    Mr Quibbes beugte sich verschwörerisch zu ihr hinüber.
    Â»Manche Schlüssel, die wir machen«, erklärte er in einem geheimnisvollen Ton, »führen dich an andere Orte. Nach London, Paris, Köln, Danzig. Wir bewahren die letzten Funken uralter Weisheiten auf. Manche Uhren lassen die Zeit Purzelbäume schlagen. Es gibt Bilder und Gemälde, die mit dir sprechen können, und Leute, die dir bis auf den Grund der Seele zu blicken vermögen.«
    Laras Augen hatten sich geweitet.
    Â»Und Sie meinen wohl, ich könnte so etwas?«
    Mr Quibbes nickte.
    Â»Was hast du
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