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Ravinia

Titel: Ravinia
Autoren: Thilo Corzilius
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Gebrauch gewesen war – , dass sie einige Kochbücher im Regal stehen hatte, dass sie ein Mal piekfein für viele, viele Pfund und in eleganter Garderobe mit ihrem Großvater essen gewesen war, um alle nur erdenklichen Benimmregeln zu erproben, und dass sie außerdem noch ein paar andere Dinge besaß oder getan hatte, die ihr Großvater ab und an als notwendig erachtete.
    Gehörte es vielleicht auch zu einem ordentlichen Mädchen, einen ordentlichen Haustürschlüssel zu besitzen? Aber warum war dann nicht die typische Floskel gefallen?
    Oder aber ihr Vater hatte diesen Schlüssel gefertigt. Das war nämlich sein Beruf gewesen, soviel wusste sie. Aber wieso sollte er einen so wundervollen Schlüssel für eine kleine Wohnung irgendwo in Edinburgh gemacht haben? Mit diesem goldenen Schlüssel sollte man angemessenerweise einen Palast aufschließen können.
    Aber es wäre zumindest ein schönes Andenken. Mal etwas anderes als Fotos.
    Mit einer Handbewegung wischte sie die Gedanken zur Seite und steckte den Schlüssel ins Schloss.
    Es ging erstaunlich einfach. Und drehen ließ er sich obendrein auch noch. Also doch. Ein neuer Haustürschlüssel. Lara verdrehte die Augen. Wartete auf das Klacken im Schloss, drückte die Klinke hinunter und öffnete die Tür.
    Laras Herz blieb für einige Sekunden stehen. Fing sich dann aber wieder und klopfte stattdessen schnell und ungläubig weiter.
    Vor der Tür konnte keine Straße sein. Niemals! Die McLanes wohnten im zweiten und dritten Stock, und vor der Tür erstreckten sich – zumindest bis gestern noch – der Hausflur samt Treppenhaus und gegenüber die Wohnungstür von Patty, die den Toffeeladen, der die Royal Mile weiter unten lag, betrieb.
    Jetzt aber lag dort ein kleines Sträßchen, das in einer weiten Kurve steil abfiel. Mit Kopfsteinpflaster und Häusern aus grauem Bruchstein, so wie es sich für schottische Häuser gehörte. Schlimmer noch, Lara kannte die Gasse. Es war die Victoria Street, die lediglich zwei Häuserecken weiter lag, ebenfalls mitten in Edinburghs Zentrum. Und dort gehörte sie eigentlich auch hin. Zwei Häuserecken weiter und nicht vor die Wohnungstür der McLanes.
    Lara machte die Tür wieder zu und kniete sich auf den Boden, um unter dem Türspalt hindurchzuspähen: Kein Zweifel, hinter der Wohnungstür lag die Victoria Street. Wie auch immer sie dort hingekommen war. Über Nacht hätte das Haus die Straße gewechselt haben müssen. Völlig verrückt. Vielleicht war ihr Großvater selbst überrascht, hatte bloß nichts erzählt. Kein Wunder, Lara hätte ihm wahrscheinlich erwidert, dass er langsam wirklich alt werde. Die Wohnung, die sich im neuen Jahr vorgenommen hatte, in eine neue Straße zu ziehen? Wie irre war das denn? Und sie musste lachen. Ein kurzes, knurriges, hilfloses Lachen. Dann stand sie auf, griff an die Klinke und trat hinaus auf die Victoria Street.

    Kein Zweifel, es war die echte Victoria Street. Es roch genauso grau wie in Edinburgh, die Geräusche waren dieselben, und man konnte das Castle über den Dächerspitzen thronen sehen. Aber was hatte sie auch erwartet? Irgendwie kam Lara jedoch nicht von dem Gedanken los, das alles müsse ein Traum sein. Ein seltsam realer Traum. Sie bekam einen Schreck. Vielleicht lag sie im Koma? Hatte sich am Alkohol vergriffen, war aus einem Fenster gestürzt oder … Nein.
    Die Tür, die Lara hinter sich zuzog, sah von dieser Seite auch überhaupt nicht aus wie die Haustür zu der Wohnung an der Royal Mile. Sie untersuchte die Klingelschilder. Nichts. Dann kam ihr die vermeintliche Lösung in den Sinn: Sie müsste nur einfach wieder hineingehen.
    Doch der Schlüssel weigerte sich von dieser Seite sehr beharrlich, sich im Schloss zu drehen, ja ihn überhaupt hineinzuzwängen war beinahe unmöglich. Sie stöhnte entnervt. Was sollte denn das jetzt wieder?
    Und dann plötzlich sah sie es. So, als ob es der Zufall gewollt hätte. Aber sagt man zum Zufall nicht bisweilen auch Schicksal? Das Schild gehörte zu einem Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite:
    Schlüssel, Uhren, Feinmechanik. Inhaber B. Quibbes .
    Na immerhin! Dort würde ihr sicherlich jemand erklären können, warum der Schlüssel plötzlich den Dienst verweigerte. Sie ging über die Straße und schlug sich vor die Stirn. Es war der
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