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Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Raven - Schattenreiter (6 Romane)

Titel: Raven - Schattenreiter (6 Romane)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herkommen, sieht es sicher besser aus.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ihr Anzug«, entgegnete das Mädchen. »Ich verkaufe Herrenbekleidung, drüben im Kaufhaus. Ich habe einen Blick für so etwas. Er hat wahrscheinlich mehr gekostet, als ich in einer Woche verdiene.«
    Jeffrey lächelte. »Das stimmt. Sie sind eine gute Beobachterin.«
    »Ich weiß. Und ich habe noch mehr beobachtet. Wollen Sie wissen, was?«
    »Gern.«
    »Nun, Sie sind nicht wegen einer Autopanne hier, so viel steht fest.«
    Jeffrey fuhr unmerklich zusammen, aber das Mädchen redete fröhlich weiter, ohne auf seinen erschrockenen Gesichtsausdruck zu achten. »Als Sie hier reinkamen, habe ich Ihr Gesicht betrachtet. Sie sahen so aus, als würden Sie vor irgendetwas davonlaufen. Was ist mit Ihnen? Angst? Oder Liebeskummer?«
    »Ein bisschen von beiden«, log Jeffrey. Das Mädchen war wirklich eine gute Beobachterin. Sie war zwar meilenweit an der Wahrheit vorbeigeschossen, aber das war kein Wunder.
    Seine Gedanken kehrten wieder zurück zu der Szene am Abend. Selbst die Erinnerung an die grausige Erscheinung reichte, um ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben.
    »Drei Tage ...«, hatte der Schattenreiter gesagt. »Denk daran - wenn wir uns noch einmal sehen, stirbst du.«
    »Wie heißen Sie?«, fragte er plötzlich.
    »Carolynn. Carolynn Marten. Aber meine Freunde nennen mich Carol. Und Sie?«
    »Jeff Candley ... Einunddreißig, ledig und ziemlich vermögend«, fügte er mit einem flüchtigen Lächeln hinzu. »Außerdem finde ich Sie nett. Ist das so Ihre Art, fremde Männer anzureden?«
    Carols Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick. »Sind Sie einer von denen, die meinen, Frauen gehören hinter den Herd?«, fragte sie spitz.
    Jeffrey schüttelte hastig den Kopf. »Nein, bestimmt nicht. Ich ...«
    »Ach, hören Sie auf!« Um Carols Mundwinkel erschien ein ärgerlicher Zug. »Sie glauben ja gar nicht, wie ich diese Sprüche hasse. Es macht Ihnen ja nichts aus, aber etwas komisch ist es schon, wenn eine Frau einen Mann anspricht, nicht? Was ist eigentlich so komisch daran? Schließlich hält es jeder für die natürlichste Sache der Welt, wenn ein Mann ein Mädchen anspricht, das ihm gefällt. Nur umgekehrt ist die Sache anrüchig.« Sie griff nach ihrem Bierglas, leerte es in einem Zug und bestellte ein neues.
    »Es tut mir leid«, sagte Jeffrey leise. »Ich wollte Sie nicht kränken, Carol. Ich bin ein bisschen nervös, das ist alles.«
    »Nervös?«, fragte sie, schon wieder halbwegs versöhnt. »Warum?«
    Jeffrey zuckte mit den Achseln. »Es wäre ziemlich kompliziert, Ihnen das zu erklären. Aber vielleicht ...« Er zögerte, sah Carol nachdenklich an und spielte gedankenverloren mit seinem Bierglas. »Wenn Sie Lust haben, bestellen wir uns ein Taxi und unterhalten uns irgendwo weiter, wo es nicht so laut und ungemütlich ist.«
    Carol schien einen Moment zu überlegen. Schließlich nickte sie. »In Ordnung. Wenn Sie mich wieder nach Hause bringen.«
    »Selbstverständlich.« Jeffrey stand auf, zahlte ihre Biere und rief von dem Telefon neben der Tür aus ein Taxi.
    Wenige Minuten später waren sie unterwegs in die City. Carol saß eng an Jeffrey gekuschelt auf dem Rücksitz des Taxi, einen verträumten, glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht.
    Sie konnte das entschlossene Glitzern nicht sehen, das in Jeffreys Augen flackerte.
    Steven Corman sah ungeduldig auf die Uhr. Seine Schicht war in einer knappen Stunde zu Ende, aber er wusste nur zu genau, wie lang sechzig Minuten werden konnten, wenn man darauf wartete, dass sie vorbeigingen. Sein Blick wanderte gelangweilt über die stummen Monitore, die Ansichten des Hauses und der Kellerräume zeigten, über die Schalttafel der Alarmanlage, deren Lichter alle in beruhigendem Grün strahlten, über die peinlich sauberen Mahagoniflanken der Theke, hinter der er jeden Tag acht Stunden lang saß und über die Sicherheit der Mieter hier im Haus wachte.
    Er seufzte unterdrückt. Als er sich vor vier Jahren um diesen Posten bemüht hatte, hatte er noch nicht gewusst, dass seine Arbeit zu neunzig Prozent aus Langeweile und untätigem Herumsitzen bestehen würde. Dieser Raven, der vorhin gekommen und eine Viertelstunde später wieder gegangen war, war der einzige Besucher während seiner Schicht gewesen. Es gab Tage, an denen Corman außer den beiden Wachmännern, die in ihrem Zimmer neben dem Treppenschacht saßen und gleich ihm die Zeit totschlugen, buchstäblich keine Seele zu Gesicht bekam. Die
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