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Raus aus dem Har(t)z IV!

Raus aus dem Har(t)z IV!

Titel: Raus aus dem Har(t)z IV!
Autoren: Diana Meier
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dem Nachteil, dass in einem solchen Geschäft eben Niemand mehr Interesse an einer Verkäuferin mit mehr als zwanzigjähriger Berufserfahrung hatte. Zu Beginn stöberte ich noch mehrere Stunden jeden Tag die Stellenangebote in der Zeitung und auf den Online Stellenmärkten durch, las Angebote und schrieb unzählige Bewerbungen. Teilweise schrieb ich Geschäfte selber an oder ging einfach herein und verlangte nach dem Personalchef oder dem Geschäftsführer, um mich vorzustellen und meine Initiative und mein Interesse zu zeigen. Doch alles war ohne Erfolg. Die Standardfloskeln für Absagen  „ Wir melden uns bei Ihnen .“, „ Tut uns leid, derzeit ist nichts verfügbar, aber sobald wir etwas haben, sagen wir Bescheid. “ und „ Im Moment nicht, vielleicht später .“ konnte ich inzwischen aufsagen wie Mantras und Gebetsketten. Ohne es zu wollen arrangierte ich mich mit der Situation. Gut, mein Arbeitslosengeld war geringer als mein vorheriger Verdienst, ich musste also lernen mich einzuschränken und auf einige, vorher so vertraute und übliche, Sachen zu verzichten, aber ich kam zurecht. Ich schaffte es irgendwie, meine Bedürfnisse auf eine Ebene herunter zu schrauben, dass ich sie erfüllen und befriedigen konnte.
     
    Große Sprünge waren in dieser Situation für mich nicht drin. Doch die hatte ich vorher auch nicht wirklich vollbracht. Ich war allein stehend, hatte mich in meiner kleinen Wohnung für meinen Geschmack gut eingerichtet und wenn ich mir etwas gönnen wollte, dann klickte ich mich durch die bunte Warenwelt auf den einschlägigen Seiten im World Wide Web, nur um ab diesem Zeitpunkt, der Absendung der Bestellung, jeden Tag dem Postboten damit zu nerven, ob er nicht zufällig mein Paket dabei habe. Diese Eskapaden meiner Einkaufsfreude fielen jetzt weg. Vermutlich war dieser Wegfall das schlimmste an meiner Situation. Ich möchte nicht sagen, dass ich ‚kaufsüchtig‘ oder –in Neudeutsch- ‚Shopping- geil‘ war, aber es machte Spaß, mir Online Sachen zu bestellen und dann auf das Paket zu warten. In diesem Moment und in diesen Tagen zwischen Bestellung und Lieferung wurde ich dann wieder in meine Kindheit zurück versetzt und es hatte etwas von Weihnachten, wenn dann das ersehnte Paket kam. Obwohl ich wusste, was darin war, gab es doch in jedem Fall ein Gefühl der Vorfreude, den ungeöffneten Karton vor sich zu haben, dann langsam das Paketband zu zerschneiden und den Moment zu genießen, in dem ich dann die Bestellung von der Umverpackung befreite. Allein die Wartezeit, bis das Paket eintraf, war jedes Mal etwas ganz besonderes. In jedem freien Moment tippte ich die Paketnummer, die ich vom online Shop bekommen habe in das Feld beim Versender, um nachzuverfolgen, wo das Paket sich gerade im Moment befand und bei jeder Aktualisierung des Versandstatus wusste ich: Ja, es ist wieder ein Stück näher gekommen. Im Geiste war ich beim LKW auf der Autobahn, der mein Paket geladen hatte, rechnete mir im Kopf durch, wie lange er wohl brauchen wird und ob er rechtzeitig in der Zustellstation eintreffen würde, um das Paket am Folgetag zugestellt bekommen zu können. Einmal hat ein Freund, der meinen Tick kannte aus Scherz gesagt, was ich denn tun würde, wenn dieser LKW auf der Autobahn einen Unfall haben und mein Paket dabei verloren gehen würde? Daraufhin blieb ich die gesamte Nacht vorm Computer sitzen und verfolgte die Verkehrsnachrichten auf der Route, die mein Paket nahm. Ja, ich war wie ein kleines Kind in solchen Dingen und plötzlich fiel diese Freude weg, da mein Budget dieses Highlight meines Alltages einfach nicht mehr zuließ. Am Anfang habe ich mir noch Sachen bestellt, um den Entzug nicht ganz so sehr zu spüren und sandte sie dann wieder zurück, um vor der Rechnung verschont zu bleiben. Zauberwort ‚Rücksendung‘ im Onlinehandel. So konnte ich mir noch einige Male das liebgewordene Gefühl gönnen, wenn auch nur im Wissen, dass ich das Paket wieder zurück senden musste.  Aber ich konnte die Sachen anprobieren, mich vorm Spiegel betrachten und mich kurz wie ein Mensch fühlen. Ein Gefühl, dass mir mein Arbeitsplatzverlust so brutal genommen hatte.
    ***

 
    Ja, ich weiß, mit dem Verlust des Arbeitsplatzes geht die Welt nicht gleich unter. Doch wie soll man sich fühlen? Gerade Anfang vierzig von Generalmajorin Schimmelpfennig in der Agentur darauf hingewiesen, dass man nicht mehr die „Jüngste“ sei und froh darüber sein könne, wenigstens etwas „Unterstützung“
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