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Raus aus dem Har(t)z IV!

Raus aus dem Har(t)z IV!

Titel: Raus aus dem Har(t)z IV!
Autoren: Diana Meier
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zu werden. Immerhin fühlte ich mich nutzlos und konnte mich mit dieser Situation nicht wirklich anfreunden. Dabei schien ich auf irgendeinen unsichtbaren roten Knopf gedrückt zu haben, denn jetzt legte Wagners Brunhilde erst richtig los. „ Na jetz hörn‘ se mal. Also das gann ich ja jetze  jar nich globen, dass sie hier nei gommen, meinen sie müssen hier mit ihrem Tussi - Jehabe eenen auf Neunmalkluch machen und mir einfach vorschreiben, wie ich meine Dienst verrischten soll? Piept‘ s bei ihnen im Öberstübschen? “. In ihrem Wutausbruch drang der sächsische Dialekt vollkommen durch und ließ die Umgebung, in der wir uns hier befanden, plötzlich in der Zeit zurück versetzt wirken. Anders mussten sich ehemalige Republikfeinde auch nicht vorgekommen sein, als sie in der DDR in einen Verhörraum geführt wurden. Ob der fleischgewordene Happy Hippo früher bei der STASI die Verhöre geführt hatte und jetzt im Zuge der Rehabilitierungs- und Demokratisierungsversuche Betreuerin bei der Arbeitsagentur spielen durfte? Ich konnte mir dieses Bild jedenfalls gut vorstellen. Aber vermutlich konnten auch die alten volkseigenen Betriebe in der ehemaligen Zone keine Uniform in einer solchen Größe schneidern. Naja, aber Gabi Schimmelpfennig war da. Woher auch immer sie gekommen sein mag. Sie war bittere Realität, sie war meine Realität. Ich versuchte es noch einmal im Guten: „Frau Schimmelpfennig, es muss doch irgendwo da draußen Arbeit für mich geben? In der Zeitung stehen doch auch so viele Anzeigen.“ Doch damit kochte dieser Dampfkessel endgültig über: „ Wollen se mir jetze sachen, sie gönnten meine Arbeit besser machen als isch? Na ei verbibsch noche ma! Ham se mal jeguggt, wie alt sie sin? Glooben se im Ernst, in ihrem Alder schrein alle danach, ihnen nen Job (dabei sprach ‚Job‘ so aus, wie man es schreibt und ließ ihrer Verachtung für Anglizismen dabei freien hörbaren Lauf) zu jeben? Sin se froh, dass wir uns um se gümmern, da ham se wenigstens was zu essen auf’m Tisch. “. Essen, wie könnte es auch anders sein, welche Priorität könnte es sonst geben in der Welt der Wuchtbrumme. „Ich bin 42 Frau Schimmelpfennig!“ ich konnte nicht fassen, dass sie mich für zu alt für eine erfolgreiche Vermittlung ansah und ich merkte, wie sich neben Wut auch etwas Stolz in meine Stimme verirrte. „ Wollen se es nich verstehn oder wat? Wir ham niggs für sie hier! Sie ham nüscht jelernt, warn de letzten Jahre nur ne Verkäuferin für Alte Sachen und für Verkäufer ham wer im Moment nüscht hier. Aber wenn was reinkommt, ne wahr, dann melden mer uns bei Ihnen. “ Einfach unfassbar! Ich war bis mein ehemaliger Chef das Zeitliche gesegnet und seine Erben das Geschäft nicht weiter führen wollten mein bisheriges Leben eine Verkäuferin für Antiquitäten und Münzen in einem eigentlich bis dahin sehr angesehenen Geschäft. Meine langjährige Erfahrung wurde jetzt von diesem Koloss deutscher Gaumenfreuden herunterklassifiziert zu ‚nichts gelernt‘ und Antiquitäten wurden zu ‚alte Sachen‘. Jede weitere Diskussion würde vermutlich die Adern in ihrem nicht sichtbaren Hals dermaßen anschwellen lassen, dass die Speiseröhre dabei im Umfang verringert wird und ungeahnte Folgen der verminderten Kalorienzufuhr hervorrufen. Dieses Risiko erschien mir zu groß und so stand ich an jenem Tag, dem ersten meiner Arbeitslosigkeit, vom Stuhl im Büro von Frau Schimmelpfennig auf und machte mich auf den Weg zur Tür. Nur heraus hier und die Farce beenden! „Vermutlich hätte ich eine Schwarzwälder Kirschtorte als Bestechung mitbringen müssen, um hier anständig behandelt zu werden!“ hatte ich das wirklich beim Heraus gehen laut ausgesprochen oder habe ich das nur in jenem Moment gedacht? Ich weiß es nicht mehr, in jedem Fall hörte ich hinter mir nur noch wild sächselnde Sprachfetzen und danach nie wieder etwas von der Agentur für Arbeit in Person von Frau Schimmelpfennig, meiner persönlichen Betreuerin.
    ***
     
     
    Ich wollte Arbeiten und konnte mich mit dieser Situation nicht anfreunden, doch egal wo ich mich beworben habe, außer Absagen erhielt ich nichts. Wer wollte schon eine Verkäuferin einstellen? Ich selbst ging ja auch nur noch einkaufen, wenn ich irgendetwas, das ich suchte, nicht vorher online gefunden habe oder online das Gewünschte einfach nicht erhältlich war. Der Fortschritt verbreitete sich eben immer schneller und mehr und mehr Geschäfte wanderten ab ins Netz. Nur mit
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