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Radegunde von Thueringen

Radegunde von Thueringen

Titel: Radegunde von Thueringen
Autoren: Simone Knodel
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Versammlungsort weithin sichtbar machte. Direkt hinter ihm stand Iring. Mit der rechten Hand auf das Langschwert gestützt, symbolisierte er die Waffengewalt des Richters. Sollte, wie in ganz seltenen Fällen, ein Urteil gegen Leib und Leben gesprochen werden, würde Iring nicht zögern, es sofort zu vollstrecken.
    Ein Priester schritt den Platz ab und murmelte Beschwörungsformeln, die Tiwaz, den Gott des Rechtes anriefen, damit er sein wachsames Auge auf diesen Platz halte und keine ungerechten Urteile zulasse. Herminafrid bestand nicht auf die Durchsetzung der neuen Götter. Er kannte die Menschen seines Volkes gut genug, um zu wissen, dass sie die alten Götter nicht einfach vergessen würden.

    Der König hob seine Hand, und sofort kehrte Stille ein. „Der erste Kläger möge sprechen!“, sagte er laut, aber mit ruhiger Stimme.
    Ein vierschrötiger Mann mit zotteligen schwarzen Haaren trat hinter der Absperrung hervor und verbeugte sich tief. „Herr, ich bin Maragis, Hirte im Dorf Swaigastede. Ich spreche für meine Schwester Maragundis. Ich klage Walto, den Mann meiner Schwester, an, Hirt im selben Dorf. Er behandelt meine Schwester sehr schlecht, schlägt sie und bedroht sie. Auch trinkt er übermäßig und ist dann besonders grob.“
    Herminafrid musterte die Männer, die sich dicht an der Absperrung drängten: „Ist Walto anwesend?“
    Gemurmel erhob sich unter den Leuten. Radegunde, die etwas abseits neben einem Schreiber auf einer roh gezimmerten Bank saß, reckte den Hals. Ein schäbig gekleideter Mann, der vom Publikum mehr geschoben wurde, als dass er von sich aus ging, stolperte vor den König. Seine Verbeugung fiel unsicher aus, offensichtlich war er noch nicht ganz nüchtern. Mit scheelem Blick schaute er am König vorbei auf den Schreiber, dessen Feder eifrig über das Pergament kratzte.
    „Du bist Walto, Hirt aus dem Dorf Swaigastede?“
    Der Angesprochene nickte.
    „Was hast du zu den Vorwürfen zu sagen?“
    Walto scharrte mit den Füßen im Gras. „Ich habe sie nicht geschlagen! Sie ist gestürzt.“
    Empörte Rufe drangen über den Platz. „Er lügt!“
    „Glaubt ihm kein Wort!“
    „Grün und blau ist sie, die arme Frau!“
    Waltos Miene verzog sich zu einer weinerlichen Grimasse. „Aber sie ist faul! Den ganzen Tag tratscht sie nur mit den Weibern.“
    „Das ist nicht wahr!“ Maragis drängte sich nach vorn und stand jetzt neben Walto. „Meine Schwester ist eine fleißige Frau und ordentlich dazu! Hätte ich sie dir nur niemals gegeben!“
    „Nicht mal Kinder kann sie in die Welt setzen!“, schrie Walto, ballte die Fäuste und stürzte sich voller Wut auf seinen Schwager. Doch der war einen Kopf größer und völlig nüchtern, sodass der Angeklagte, bereits nach Luft schnappend, im Gras lag, als die Soldaten des Königs hinzusprangen.
    Die Zuschauer johlten und klatschten teilweise Beifall.
    Herminafrid hob erneut die Hand. „Walto hat uns deutlich gezeigt, dass er jähzornig ist und seine Fäuste nicht unter Kontrolle hat. Stellt ihn auf die Füße!“
    Zwei Soldaten zerrten den angeschlagenen Mann hoch und flankierten ihn.
    „Folgendes spreche ich und ist zu befolgen: Wer dem Mann Walto in Zukunft Bier oder Wein verkauft oder auf anderem Wege verschafft, ist anzuzeigen und wird mit zwanzig Peitschenhieben bestraft. Die Frau gehe zurück ins Haus ihres Bruders, solange sie selbst es möchte. Als Unterhalt zählt ihre Arbeitskraft. So sei es.“
    Die Menge klatschte und Maragis verließ mit zufriedenem Blick die Wiese. Walto hatte sicher noch nicht ganz begriffen, wie glimpflich er davongekommen war. Benommen torkelte er davon, begleitet von schadenfrohen Blicken und höhnischen Pfiffen der Menschenmenge.
    Der nächste Kläger war ein altes Weib, das seinen Nachbarn des Eierdiebstahls beschuldigte. Die Alte hatte keinen Mann gefunden, der für sie sprechen wollte und durfte ihre Klage vom Rande des Thingplatzes selbst vortragen.
    Der angeklagte junge Töpfer aus dem Dorf Thachabechiu verteidigte sich: „Auch bei mir im Stall fehlten ständig Eier, Herr. Doch habe ich mir selbst geholfen und den Dieb gefangen, statt meine Nachbarn zu verdächtigen.“ Er griff unter seinen Mantel und zog ein schwarz glänzendes Marderfell hervor, das er dem König triumphierend entgegenreckte.
    Das Publikum lachte und die Alte verzog das Gesicht. Auch Herminafrid konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Der junge Mann wurde freigesprochen, die Alte ermahnt, weniger Misstrauen an den Tag zu
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