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Racheopfer

Racheopfer

Titel: Racheopfer
Autoren: Ethan Cross
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Ackermans Amygdala sei geschädigt - der Mandelkern des menschlichen Hirns, der die Angst steuert -, und dass der Killer deshalb keine wirkliche Furcht empfinden könne. Womöglich hatte er nicht einmal Angst vor dem eigenen Tod. Wenn sie das in Betracht zog, sagte Ackerman die Wahrheit.
    Wenn sie David opferte, bekam sie ihre Rache.
    Aber zu welchem Preis?
    Sie blickte David in die Augen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was er empfand, doch sie sah nur Angst. Sie fand weder Bestätigung noch Resignation, kein Anzeichen, dass er bereit war, sein Leben zu geben. Nichts, womit sie rechtfertigen konnte, was ihr Zorn von ihr zu tun verlangte.
    Doch Ackerman musste aufgehalten werden. Wie viele andere Menschen würden leiden und sterben müssen, wenn diesem Monster die Flucht gelang? Sie musste darum kämpfen, dass es nicht so weit kam, auch wenn es David das Leben kostete.
    Ackermans Stimme riss sie aus ihren Grübeleien.
    »Ich dränge Sie nur ungern, aber noch fünfzehn Sekunden, und ich verlasse durch diese Tür dort das Gebäude.«
    Jennifer löste den Blick von David und richtete ihn auf Ackerman. Dessen Gesicht war älter geworden, doch der Ausdruck seiner Augen war noch genauso wie in der grauenvollen Nacht, als ihre Familie ausgelöscht worden war.
    Jennifers Herz raste. Übelkeit und Schwindel erfassten sie, doch sie kämpfte dagegen an. Sie wollte ihr Leben nicht mehr von Schuldgefühlen, Angst und Schmerz bestimmen lassen. Sie hatte endlich eine Chance, diese Ketten zu sprengen.
    Ohne einen weiteren Blick auf David stieg Jennifer auf den Tisch und legte den Schalter um.

30
    Sie rechnete mit einem Schrei. Einem grellen Blitz. Einem Peitschen von Elektrizität.
    Doch sie hörte nichts, spürte nichts.
    Sie schlug die Augen auf.
    In diesem Moment verließ sie alle Hoffnung.
    Ackerman stand noch immer hinter David. Beide waren sehr lebendig. Der Killer starrte blind auf eine Stelle weit hinten im dunklen Korridor. Seine gefurchte Stirn und der gesenkte Blick wiesen auf ein Gefühl hin, das Jennifer nur als Enttäuschung deuten konnte. Doch diese Reaktion widersprach allem, was sie über den Psychopathen wusste.
    Sie schaute auf David, aber der wich ihrem Blick aus. Ein schimmernder Film bedeckte seine Augen, doch keine Träne war geflossen.
    Nicht mehr imstande, auch nur einen der beiden Männer anzusehen, ließ Jennifer sich an der Wand hinunterrutschen und zog die Knie an die Brust.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie tatsächlich so weit gehen würden«, sagte Ackerman. »Zumindest wollte ich es nicht glauben. Du meine Güte - Sie hätten tatsächlich den Mann getötet, der Ihnen so viel bedeutet, den Sie wahrscheinlich sogar lieben. Einen unschuldigen Mann. Hassen Sie mich wirklich so sehr?«
    Jennifer gab keine Antwort. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    Ackerman fuhr fort: »Da habe ich wohl ein Monster erschaffen, so wie mein Vater vor mir. Scheint eine Spezialität der Familie zu sein.«
    Jennifer ließ ihren Tränen freien Lauf. Ackermans Worte hatten sie ins Mark getroffen. Ja, sie hatte sich in ein Ungeheuer verwandelt. Sie war zu dem geworden, was sie am meisten verabscheute.
    »Vor kurzer Zeit«, sagte Ackerman, »habe ich einer Journalistin erklärt, dass in uns allen ein Monster steckt, das dicht unter der Oberfläche schlummert. Ich weiß nicht, ob ich es wirklich geglaubt habe. Es erschien mir eher eine interessante Bemerkung zu sein, die ich anbringen wollte. Etwas, das die Menschen zum Nachdenken bringt und ängstlich macht. Das sie glauben macht, jeder, sogar der eigene Nachbar, könnte zu dem fähig sein, was ich getan habe. Jetzt allerdings frage ich mich, ob ich damit nicht von Anfang an richtiglag.« Er lachte auf. »Ich nehme an, ich habe einfach mehr von Ihnen erwartet. Ich habe erwartet, dass Sie ein besserer Mensch sind als ich. Aber da habe ich mich offenbar getäuscht.«
    Jennifer kniff die Augen zu, um die Eindrücke der äußeren Welt fernzuhalten. Sie wollte sich verstecken, wollte versuchen, den Schmerz zu verdrängen und an einen Ort des Glücks zu gelangen … in eine Welt, in der sie und David verheiratet waren und Kinder hatten und ihre Eltern planten, sie übers Wochenende zu besuchen. Doch die Illusion war nur von kurzer Dauer, und ihr Ort des Glücks fiel vor ihren Augen in sich zusammen.
    Wenn sie auf diese Weise nicht entkommen konnte, dann eben anders.
    Durch Schmerz.
    Die rechte Hand um die linke geklammert, trieb sie den Daumen in den Stummel des linken
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