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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss
Autoren: Bettina Broemme
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wie unglücklich er in diesem kalten Land war und wie froh über ein wenig menschliche Wärme. Und sie wusste genau, wie einschmeichelnd Carina sein konnte, wie sie einen um den Finger wickeln, blenden und einem schöntun konnte. Wie sie einen mit ihrer seltsamen Art der Lebensfreude mitriss und verführte.
    »Im Falle Yannik Fähnlein gehen wir zunächst einmal von einem Unfall aus«, übernahm nun Hauptkommissar Viereth das Wort. »Allerdings können wir bisher nicht detailliert nachvollziehen, wie sich der Unfall vollzogen haben könnte. Außerdem steht versuchter Totschlag oder unterlassene Hilfeleistung als Anklage im Raum, da der Zustand des Opfers eindeutig besser wäre, wenn man sofort eine medizinische Versorgung eingeleitet hätte. Und noch gibt es ein hohes Risiko, dass er an den Unfallfolgen sterben wird.« Flora zuckte zusammen. Ihre Mutter streichelte ihren Rücken und Schmittberger warf ihr erneut so etwas wie ein Lächeln zu. Viereth fuhr fort: »Falls – und davon gehen wir aus – eine zweite Person anwesend war, als das Tor das Opfer traf, hätte diese natürlich Hilfe holen müssen. Wir haben von einer Mitschülerin von Ihnen gehört, Frau Harnasch, dass Sie am Abend des Unglücks in der Turnhalle waren. Können Sie uns Einzelheiten schildern? Alles ist wichtig, jede Kleinigkeit.« Mit einem kurzen Seitenblick sah Flora zu ihrer Mutter, die nun unbeweglich dasaß. Nur ihre Finger, die sie auf dem Schoß gefaltet hatte, zuckten verdächtig. Flora räusperte sich.
    »Haben Sie mich verstanden?«, vergewisserte sich Viereth. Er sah beinahe aus wie ihr Geschichtslehrer: klein und zart, mit einem schmalen weißen Bärtchen unter der Nase und einer dünnen Goldrandbrille. Kaum vorstellbar, dass er Schwerverbrecher dingfest machen konnte. Allerdings war seine Stimme scharf und schneidend und allein deswegen zollte man ihm Respekt.
    Flora nickte und suchte noch immer nach Worten.
    »Ja, ich war in der Halle. Wir hatten alle Training gehabt. Ich, ich habe auf Yannik gewartet. Sein Training dauert länger als meines.« Sie stockte. Mit einem Mal wurden ihr so viele Dinge auf einmal klar, dass ihr schwindelte. Wie konnte sie ihre Geschichte nur wiedergeben, sodass alles verständlich sein würde?
    »Kann ich ein Glas Wasser bekommen?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen. Sie würde mit dem ersten Tag anfangen müssen, sie würde ihr Gehirn durchforsten müssen, nach all den Kleinigkeiten, die sie übersehen hatte. Dann erst könnte sie reden. Ob der Kommissar das verstehen würde? Sein ungeduldiges Wippen der übereinandergeschlagenen Beine ließ sie dies nicht vermuten.
    Carina, Carina, Carina – immer nur dieser Name hatte Platz in ihrem Kopf. Carina, die ihr die Kondome geschenkt hatte. Hatte sie ihr nicht die ganze Zeit vorgemacht, der Junge auf der Party sei der erste gewesen, mit dem sie geschlafen hatte? Und in der Zeit danach hatte sie nie wieder von ihm gesprochen – wieso wusste sie also, wie toll es angeblich mit diesen bescheuerten Leuchtkondomen war? Carina, die ihr eingeredet hatte, die Kondome in der Tasche zu verstecken. Und die kurz davor angeblich auf der Toilette gewesen war. Kein Wunder, dass Flora den Slip gefunden hatte. Er war schon immer bei Carina gewesen. Oh Gott, dachte Flora, und Leonie, die ihr also doch die Wahrheit gesagt hatte – es konnte nur die Wahrheit sein: Carina hatte Yannik geliebt – und dann war Flora aufgetaucht – und deswegen wollte Carina Flora zerstören. War es wirklich so?
    »Frau Harnasch«, unterbrach Viereth ihren Gedankenstrom. »Können Sie uns noch mehr sagen?« Flora versuchte ein Lächeln, das schief und krumm geriet und völlig fehl am Platz zu sein schien.
    »Ich bin so… so durcheinander«, stotterte sie. Sie griff nach dem Glas, das man inzwischen vor ihr abgestellt hatte, und trank es in einem Zug aus. »Es war so viel die letzten Wochen… und Yannik…«
    »Ich verstehe schon«, sagte der Kommissar und seine Stimme schmerzte in Floras Ohren. »Aber wir brauchen schnell Ergebnisse. Je früher wir viel wissen, umso eher könnten wir einen möglichen Täter finden.«
    »Aber ich weiß doch, wer es war – wer Yannik mit dem Tor erschlagen wollte«, sagte Flora und im Raum war es still wie in einer Andachtskapelle ohne Trauernde.
    »Wer?«, fragte Viereth tonlos.

18. Kapitel
    Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten, Prof. Dr. W. Metzler vom 02.12. d. J.:
    ». . . Nach dem momentanen Kenntnisstand lässt sich bei der Patientin eine
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