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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss
Autoren: Bettina Broemme
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Minderjährigen an und hat noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus. So ein Depp. Aber irgendwie war er auch süß. Außerdem war der Sex mit ihm gut gegen Frust und Langeweile und der Druck hat sich aufgelöst, manchmal. Obwohl sich der beim Quetschen noch besser aufgelöst hat. Du kannst dir das nicht vorstellen, wie das ist. Du denkst, du flippst gleich aus, du gehst die Wände hoch, und dann – bamm – knallst du dir die Tür aufs Handgelenk, ein Mal, zwei Mal, drei Mal, immer wieder. Oder du drehst das Tuch, das du um deinen Oberschenkel gebunden hast und das gespickt ist mit schön schweren oder scharfen Gegenständen, immer weiter und weiter, bis dir fast die Luft wegbleibt. Und der Schmerz – der Schmerz nimmt einfach alles fort, allen Druck, alle Last und du spürst dich wieder, du merkst, dass du noch da bist. Wenn ich jetzt…« Sie verstummte plötzlich, alles Lebendige wich aus ihrem Gesicht und sie starrte bewegungslos in die Kamera. Dann hob sie die Hand und das Bild erlöschte. Flora war längst gepackt von Carinas Bericht. Sie spürte jetzt erst, dass ihr Tränen über die Wangen liefen, und sie konnte nicht genau sagen warum. Lieber klickte sie den nächsten Film an. Wieder Carinas Gesicht, beinahe bildfüllend. Dann wich sie ein wenig zurück und schob ihre aneinandergelegten Hände ins Bild. Die Handgelenke waren pflaumenblau und ozeangrün.
    »Es ist normal, dass man es immer wieder mal macht«, fing sie an. »Ich bin ja noch nicht so lange hier. Erst drei Wochen. Und dafür mache ich mich ganz gut. Das Blöde ist, den Ritzerinnen können sie ihre Rasierklingen wegnehmen. Aber sie können ja nicht alle Türen ausbauen. Das geht ja nicht. Na ja, und fixieren ist auch keine echte Strafe für jemanden wie mich.« Sie grinste schelmisch. Dann atmete sie tief durch.
    »Okay, wo war ich stehen geblieben? Ja, ich glaube, bei deiner Gutgläubigkeit. Flora, Flora, da musst du in Zukunft aufpassen, bitte, ja?! In Rio steigst du nicht mal mit ’ner Kette um den Hals in einen Bus – aber in Deutschland, meinst du, kannst du dein Herz vor dir hertragen und keiner nimmt es dir weg. Das geht doch nicht, das musst du dir mal klarmachen.
    Weißt du, ich weiß schon, dass ich Mist gebaut habe, tief in die Scheiße gegriffen. Aber es hat sich so logisch angefühlt, so folgerichtig. Wenn das eine nicht funktioniert hat, dann würde vielleicht das andere helfen. Und dann hab ich einfach weitergemacht. Jedes Mal danach – das war fast so, als ob ich mir ein Bein oder einen Arm abgequetscht hätte – ein richtig geiles Gefühl. Aber ich konnte ja nicht ahnen, dass du aufstehst und wieder aufstehst und immer wieder aufstehst. Das mit Yannik. Das tut mir leid. Und es tut mir weh. Er war der einzige Mensch, den ich echt geliebt habe. Udo, den hätte ich auch lieb haben können. Wenn er bei uns geblieben wäre. Und Yannik. Und ich hätte dich lieb gehabt, wenn du nicht Yannik… ach, Scheiße. Kannste mir mal erklären, warum das alles so kompliziert sein muss? Kacke, echt.« Und dann wurde es wieder schwarz. Der Eingang einer Facebook-Nachricht poppte auf dem Bildschirm auf.
    Flora klickte darauf.
    »Weißes Kleid oder weißer Rock mit Top?«, hatte Luisa geschrieben. Flora las den Satz mehrmals, bis sie seine Bedeutung erfasste. Ihre Finger schwebten über dem »Antworten«-Button, aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie der Freundin raten sollte. Kleid oder Rock? Leben oder Tod? Wie sollte man solche Fragen beantworten? Sie klickte das letzte Filmchen von Carina an. Sie wollte es jetzt hinter sich bringen. Vielleicht würden ihr dann Antworten einfallen.
    »Ich muss es dir jetzt sagen. Es erzählen, schildern. Ich habe schon Übung, ich habe es meiner Therapeutin gesagt. Und, klar, der Polizei auch, nachdem sie meine Fingerabdrücke am Torgriff gefunden haben. Also dürfte es nicht allzu schwer sein.« Sie atmete tief durch, grinste ganz kurz und dann wanderte ihr Blick hinaus, über die Kamera hinüber in eine andere Welt.
    »Du warst aus der Turnhalle fortgelaufen. Ich habe gesehen, wie du mit wütendem Blick auf dein Fahrrad geklettert und abgehauen bist. Ich bin sofort in die Halle rein. Jetzt würde ich ihn überzeugen können, dass du nur eine blöde Zicke bist, die seiner nicht wert ist. Er hockte an der Wand neben dem Geräteraum. Er hielt sich die Eier. Du musst ganz schön zugetreten haben. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, er sah hoch und ich wusste, alles würde schiefgehen. Ich sah
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