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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss
Autoren: Bettina Broemme
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Gemeinschaftsunterkunft einfach nicht ausgehalten. Und er kann immer Arbeitswillige gebrauchen. Seit zwei Jahren schufte ich für ihn, schwarz natürlich. Ich will mich nicht beklagen – immerhin kann ich meiner Familie Geld schicken, und das ist mehr, als ich je zu hoffen gewagt habe. Eines Tages tauchte Franz Meyer mit diesem zarten blonden Mädchen auf, seiner Nichte. Ich dachte, sie wäre eine Fee, die mir gleich alle meine Wünsche erfüllen würde, die mich erlösen würde, so lieb, wie sie mich anlächelte. Ich tat alles, um sie sehen zu können, ich riskierte meinen Job, ich nahm in Kauf, dass meine Schwarzarbeit aufflog und ich dann sofort abgeschoben worden wäre, nur um ihr nahe zu sein. Und eines Tages – frag mich nicht, warum, ich will es gar nicht wissen, da hat sie mich erhört. Das ist jetzt ungefähr ein halbes Jahr her. Seitdem kommt sie immer wieder zu mir. Sie… sie…«, er stöhnte und sah nachdenklich auf die Straße. Gerade parkte ein Feuerwehrauto auf der gegenüberliegenden Straßenseite und ein Polizist stieg aus seinem Pkw aus. In seiner Hand erkannte man etwas, das vermutlich ein Megafon war. Floras Magen zog sich zusammen und sie krallte sich wieder viel zu sehr am kalten Gestänge fest. Erleichtert sah sie, dass der Polizist zunächst auf den Polier der Baustelle zuging. Arlindo fuhr sich über den Oberarm.
    »Kalt hier oben. Aber ich fürchte, wenn wir jetzt absteigen, werde ich dir die Geschichte nicht zu Ende erzählen können. Und du solltest das Ende kennen.«
    »Was war mit dir und Carina?« Floras Oberschenkel zitterten bedenklich.
    »Na ja, als Liebespaar kann man uns wohl kaum bezeichnen. Ich meine, sie ist minderjährig, ich bin ein armer schwarzer Asylbewerber – rate, wie da die Karten gemischt sind. Doch es war mir egal – ich habe sie einfach geliebt, ich hätte alles für sie getan. Ich… ich habe alles für sie getan.«
    Flora überlief nicht nur wegen der Kälte hier oben ein Schauer. Sie ahnte langsam, wohin Arlindos Erzählung sie führen würde.
    »Weißt du, ich hatte am Anfang den Eindruck, sie ist ein bedürftiges Mädchen, das sich nach Liebe sehnt, auf das man aufpassen muss, und ich habe versucht, immer für sie da zu sein. Ich wollte nicht erkennen, dass sie mich nur eingespannt hat für ihre Zwecke. Dass sie ein raffiniertes Spiel mit mir gespielt hat. Ich durfte mit ihr schlafen – und dafür hatte sie mich in der Hand. Ich musste tun, was sie verlangte, oder sie hätte mich auffliegen lassen. Ich war dumm, ich weiß. Außerdem hatte ich Angst. Sie zu verlieren. Mein Leben hier zu verlieren.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, rieb sich die Augen, als versuche er, klarer zu sehen.
    »Irgendwann kam sie und erzählte mir, es gäbe ein böses Mädchen in ihrer Klasse, das müssten wir einschüchtern. Sie überredete mich, den Transporter ihres Onkels mitzubringen. Sie sagte mir, ich solle in das Café gehen und euch anrempeln und dich bekleckern, damit du aufs Klo verschwinden würdest. Dann bestellte sie einen Kaffee für dich und tat diese Tropfen hinein, ich weiß nicht genau, was es war. Als du draußen auf der Bank eingeschlafen warst, zogen wir dich zum Transporter, der eine Straße weiter geparkt stand. Keiner beachtete uns. Jeder dachte wohl, du wärst einfach eine Betrunkene. Dann fuhren wir zu meiner Unterkunft, Carina schnitt dir die Haare ab, sie zog dir die Unterhose aus und dann setzten wir dich am Weiher aus. Weil du dich nicht selbst bewegen konntest und wir dich zu zweit nur schwer halten konnten, hast du dich an der Wange verletzt.«
    »Kommen Sie da runter«, schrie nun der Polizist durch sein Megafon zu ihnen hinauf. Flora legte ihre Hand auf Arlindos Unterarm. Er nahm ihre Hand und drückte sie. Seine Finger fühlten sich warm und rau an.
    »Warum?«, flüsterte Flora. »Warum hat sie das gewollt?«
    »Es sind böse Geister in ihr«, sagte Arlindo und sah in die Ferne. »Ich weiß es nicht, was es ist, aber ich glaube, sie ist krank. Ich glaube, man muss ihr helfen. Nur – ich kann es nicht! Wer glaubt mir schon? Außerdem habe ich mich schuldig gemacht – du wirst mich doch nicht der Polizei verraten?« Mit einem Mal verfinsterte sich sein Blick, als sei ihm erst jetzt klar geworden, in welche Gefahr er sich gebracht hatte.
    »Ich musste dir einfach erzählen, was passiert war«, erklärte er. »Als ich dich hier oben gesehen habe, habe ich gedacht, du willst dich umbringen. Ich hätte es verstanden – aber daran wollte
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