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Racheakt

Racheakt

Titel: Racheakt
Autoren: F Steinhauer
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das Ende. Er zuckte zusammen und holte tief Luft um sie dann geräuschvoll in seine verschränkten Hände zu blasen als wolle er seine klammen Finger wärmen. Lange starrte er vor sich hin. Seine privaten Ängste gingen schließlich niemand was an.
    Schweigen breitete sich aus.
    »Wenn es wirklich der Rucksack des Opfers ist, hat der Täter nicht ernsthaft versucht, die Identität der jungen Frau so lange wie möglich geheim zu halten. Sonst hätte er den Rucksack doch eher im See versenkt. Schließlich war doch vorhersehbar, dass wir die Umgebung gründlich absuchen würden«, überlegte Albrecht Skorubski laut.
    »Nicht nur das – er hat sein Opfer auch nicht versteckt, um die Tat zu vertuschen. Spätestens morgen früh wäre die Tote von einem Jogger oder einem Hundebesitzer entdeckt worden. Also auch kein Versuch Zeit für die Flucht zu schinden. Entweder war er so geschockt, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte und ist so schnell wie möglich geflohen – oder es war ihm egal, dass wir sie schnell finden könnten«, sagte Nachtigall.
     
    »Des Opfer war sicher kaum jünger als meine Freundin. Die isch letschte Woch dreiunwanzig geworre. Ihre Töchter sinn doch au so in dem Alter? Verdammt scheiße, so was«, meldete sich Wiener von der Rückbank jugendlich derb voller Empathie. »Belastet Sie denn so ein Fall nicht sehr?«
     
    »Doch«, Peter Nachtigall wandte sich abrupt zum Fenster um.
    Er schwieg, bis sie den Parkplatz vor dem Präsidium erreicht hatten.
    Albrecht Skorubski warf seinem Freund einen prüfenden Blick zu. Seine eigene Tochter wohnte schon seit einigen Jahren nicht mehr zu Hause. Sie studierte in Hamburg, lebte ihr eigenes Leben. Aber, erinnerte er sich, solange sie daheim wohnen, fühlten sich die Eltern immer verantwortlich, achteten auf das Schlagen der Tür, wenn das Kind nach der Disco zurückkehrte, hörten die Motoren der Autos, in denen Freunde sie nach Hause brachten.
    Wenn er nur daran dachte, wie lange Peter es damals für sich behalten hatte, als er mit Jule plötzlich ganz allein dastand. Keiner hier am Bonnaskenplatz hatte auch nur das Geringste geahnt.
    Ein Streifenwagen bog auf den Parkplatz ein, das Fenster versank in der Tür und der blond gelockte Schopf eines Polizisten wurde sichtbar.
    »Wir bringen euch den Rucksack! War im Mülleimer an der Straßenbahn.«

4
    3. November
     
    Ich konnte schon immer problemlos Kontakte zu anderen Menschen knüpfen. Das ist eine wirkliche Stärke von mir. Ich gehöre nicht zu diesen armen, abgeschobenen Mauerblümchen, die verhuscht am Rande des Geschehens stehen und verzweifelt darauf warten angesprochen zu werden, während ihre Zeit abläuft und sie langsam und traurig vor sich hin welken. Nein, ich unterhalte mich gern, Fremde interessieren mich, ich finde schnell einen Einstieg in ein munteres oder ernsthaftes Gespräch. Dabei bleibe ich durchaus distanziert, behalte jederzeit den Überblick, lasse mich nicht aushorchen oder gar in Intrigen verwickeln. Alles bleibt harmlos. Unverbindlich.
     
    Besonders bei Frauen fällt es mir leicht. Obwohl ich mich viel lieber mit Männern unterhalte, vertrauen mir Frauen ungebeten selbst ihre intimsten Geheimnisse an. Das scheint bei mir schicksalhaft zu sein.
    So erzählte mir einmal eine ältere Dame, mit der ich in der hereinbrechenden winterlichen Dämmerung in der Einöde auf den Bus wartete, dass sie immer, wenn sie hierher käme um das Grab ihres Mannes zu besuchen, ihr Geld in ihren BH stecke, aus Angst, es könne ihr aufgelauert werden. Der Dieb mochte ihr dann zwar die Tasche aus den rheumatischen Händen reißen – aber später wäre er dann sicher enttäuscht, weil er darin nichts Wertvolles würde finden können.
    Wir standen dort ganz einsam und allein und es wäre mir ein Leichtes gewesen, diese klapprige Gestalt einfach niederzuschlagen und ihr das Geld abzunehmen – aber solch eine Niedertracht traute sie mir offenbar auf keinen Fall zu. Grotesk aber wahr: Sie fühlte sich sogar beschützt. Ausgerechnet!
    Und natürlich missbrauchte ich ihr Vertrauen nicht – schließlich weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung, wie weh das tut.
     
    Es regnet nun schon seit Tagen. Das trübe und nasskalte Novemberwetter verwandelt viele einst Sonnenhungrige in blässliche Stubenhocker. Ist mir ganz recht. Denn so wird es auf den Straßen beträchtlich ruhiger.
    Die junge blonde Frau ist mir schon vor einigen Tagen aufgefallen. Sie ist genau der richtige Typ. Unbekümmert
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