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Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)

Titel: Rabenschwestern: Kriminalroman (Ein Franza-Oberwieser-Krimi) (German Edition)
Autoren: Gabi Kreslehner
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Entscheidungen. Gefällt für ein Leben. Nicht umkehrbar. Kein Zurück.
    Und sie wollte endgültig gehen, aber wieder hielt Dorothees Stimme sie auf. »Und Lilli?«
    Franza dachte nach. »Lassen Sie ihr einfach ein bisschen Zeit«, sagte sie und verharrte kurz. »Und auch ihrer Mutter.«
    Über Dorothees Gesicht rannen Tränen, aber das sah Franza schon nicht mehr. Ihr Handy piepste. Eine SMS von Sonja. »Mein Mann ist ein verdammtes Arschloch.«
    89 Es wäre so einfach gewesen. Wenn sie geschwiegen hätte. Wie sie alle durch all die Jahre geschwiegen hatten. Wie man manchmal einfach schweigen musste.
    Aber sie musste immer weiter reden, musste alles, alles aufs Tapet bringen, musste ihm Vorwürfe machen, ihm, der sich doch wirklich das allerwenigste hatte zuschulden kommen lassen, der in diese Geschichte nur durch einen dummen Zufall hineingeschlittert war.
    Er war nur hergekommen, weil er gehofft hatte, dass sie wüsste, wo Hanna war, wenn diese unfähigen Polizisten schon nicht weiterkamen.
    Aber alles war aus dem Ruder gelaufen. Und irgendwann hatte er rotgesehen. Als sie damit anfing, dass sie Hanna alles sagen würde, dass Hanna und sie nun das beste Einvernehmen hätten, dass Hanna ihn, Jonas, verlassen würde.
    »Alles sagen?«, hatte er gefragt. »Alles sagen?«
    Plötzlich war sie ganz ruhig geworden, ganz kalt, er hatte den Hauch dieser Kälte gespürt, wie er an ihn herangewabert kam, er hatte an den Fluss denken müssen, an Nebelschwaden, an Eisblumen.
    »Hast du jetzt Angst«, hatte sie gefragt, »hast du Angst, dass deine heilige Hanna dich vernichtet? Dass sie dich, wenn sie alles, alles weiß, wie einen kleinen, ekeligen weißen Mehlwurm zertritt?«
    Er sah sich als kleinen, ekeligen weißen Mehlwurm. Sofort. Auf der Stelle. Er sah dieses Bild, wie er Bilder immer sah, sich selber im Staub und über sich Hanna, eine große, mächtige Hanna, das Rot ihrer Haare leuchtete wie eine ungünstige Prognose.
    Er musste sich wehren. Nicht gegen Hanna. Nein, nicht gegen sie. Gegen Gertrud, gegen ihre Kälte, gegen ihre infamen Unterstellungen.
    »Du hast dir dein Schweigen erkauft«, sagte sie. »Glaubst du wirklich, das weiß ich nicht. Du hast dir dein verdammtes Schweigen von meinem verdammten Vater erkauft und du hast geglaubt, du kannst irgendetwas gutmachen, indem du Hanna geheiratet hast, indem du immer um sie herum warst, sie und ihre Traurigkeit geschützt hast. Aber du hättest ihre Traurigkeit auflösen können, du hättest …«
    Sie stockte, überlegte, schüttelte den Kopf. Noch dachte er, alles würde gut, alles könnte man noch zum Guten wenden.
    Aber sie fuhr erbarmungslos fort: »Du hast es nicht getan. Du bist immer zu feige gewesen. Du hast in Wahrheit dafür gesorgt, dass sie dieses Wissen nie in sich entdeckte.«
    »Nein«, versuchte er zu widersprechen, »nicht feige! Ich wollte ihr das nicht zumuten. Ich wollte euch allen das nicht zumuten! Du hättest Lilli verloren und Lilli dich! Deine Eltern hätten sich verantworten müssen. Wir sind doch Freunde! Immer gewesen.«
    Sie hatte nur gelacht, nicht laut, nicht böse, nein, es war ein leises, hilfloses Lachen. Aber ein Lachen.
    »Freunde?«, wiederholte sie. »Glaubst du das wirklich? Nein, das kannst du nicht glauben. Eure Freundschaft hat sich in dem Augenblick in Luft aufgelöst, als du den Scheck genommen hast.«
    »Aber was hätte ich sonst tun sollen? Zur Polizei gehen? Meinen besten Freund anzeigen?«
    »Ja«, sagte sie leise. »Ja, vielleicht hättest du das tun sollen. Vielleicht wäre es für uns alle das Beste gewesen.«
    Sie schwieg, verschränkte die Arme vor der Brust, schaute in sich hinein, schwieg.
    »Und jetzt«, fragte er.
    »Und jetzt«, sagte sie, »kommt alles ans Licht, alles, und du verlierst Hanna.«
    Es war der Augenblick, da seine Verzweiflung überhandnahm. Und ihm bewusst wurde, dass er sich mit aller Kraft wehren würde, dass er nichts weiter zulassen würde.
    »Du wirst sie verlieren«, wiederholte sie und in ihrer Stimme war eine solche Gewissheit, dass ihn zu frösteln begann. »Wir werden alle verlieren.«
    Das sagte sie. Ausgerechnet sie. Die doch die Nutznießerin gewesen war, der Grund für all das … Herumgetue.
    Er sah sein Leben vor sich, die letzten zweiundzwanzig Jahre. Alles verging, alles schwand, sein Sehnen, seine Sorge, sogar die Krankheit, die in ihm fraß, der Krebs, der seine Eingeweide zerstörte, der sich all die Jahre in ihn hineingefressen hatte, unerbittlich wie ein stilles Tier;
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