Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
Vom Netzwerk:
Küche, ein wenig abgewinkelt, sodass er von der Sitzgruppe aus am besten zu sehen war. Er enthielt eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von Rosi. Richard ging näher heran und nahm das Foto in beide Hände. Sie hatte ihr dunkelbraunes langes Haar hochgesteckt. Das Licht fiel von rechts auf ihr Profil und tauchte die andere Hälfte des Gesichts in einen düsteren Schlagschatten. Es handelte sich um eine meisterliche Fotografie. Rosi blickte ihn mit melancholischem Gesichtsausdruck an. Aus seinem linken Augenwinkel löste sich eine Träne.
    Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn jäh herumfahren. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte die gerahmte Fotografie fallen lassen.
    Aus der Diele ertönte erneut ein Geräusch. Er hatte die Türe nicht hinter sich geschlossen, als er hereingekommen war. Ein leises Rufen ertönte.
    »Hallo!«
    Verunsichert trat Richard auf den Durchlass zur Diele zu.
    Ein Schopf wirr gelockter grauer Haare wurde zur offenstehenden Haustüre hereingesteckt. Darunter zwinkerte ein Augenpaar nervös hinter dicken Brillengläsern. Richard erkannte Frau Stoffels sofort wieder. Ein Dutzend Falten mochte sich in der Zwischenzeit zusätzlich in ihr Gesicht gegraben haben, aber ansonsten schien sie unverändert. Selbst ihr Auftritt war typisch. Ihr gestreckter Hals, der sich um die Kante der Türe herumwand, war symptomatisch für ihre unbeschreibliche Neugier, für die die alte Haushälterin des Pastors weit über Buchscheids Grenzen hinaus verschrien war. Im Halbdunkel hinter ihr konnte Richard schemenhaft die Umrisse ihres Bruders, des alten Kirsch, erkennen. Was für ein Empfangskommando.
    »Richard«, hauchte sie, während er den beiden die Türe vollends öffnete, ohne dass er erkennen konnte, welcher Art die Emotionen waren, die in ihrer Äußerung mitschwangen.
    »Ja, ich bin’s. Gerade angekommen.«
    »Haben wir uns schon gedacht. Da war ja deine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Du hast gesagt, du kämst heute Abend ... hat man uns erzählt.«
    »Sie wissen nicht zufällig, wo meine ... wo die Rosi ist?« Wenn überhaupt jemand wusste, wo sich wer wann in Buchscheid aufhielt, dann war es Agnes Stoffels.
    Und sie wusste es.
    »Die Rosi? Ja, wie soll ich das sagen, Junge?« Hilfesuchend schickte sie einen Blick zu ihrem Bruder. »Weißt du, da war dieser Unfall. Heute Morgen. Und die Rosi ... ja, die Rosi, die ist ja jetzt tot.«
    * * *
    Tante Hettis Hand zitterte, als sie den Briefumschlag öffnete und hineingriff. Sie förderte schweratmend etwas zutage, das vom anderen Ende des goldverbrämten Couchtischs etwa so wie ein Büschel türkisfarbener Haare aussah. Als Herbie sich hinüberbeugte und es aus ihrer knochigen Hand entgegennahm, stellte sich heraus, dass es ein türkisfarbenes Büschel Haare war.
    »Das soll ein Beweis sein!«, zeterte seine Tante. »Wofür, bitte schön, ist das ein Beweis, frage ich dich!« Sie trank nervös einen weiteren Schluck Pfefferminzlikör.
    Es könnte sich um den schlagenden Beweis im Rechtsstreit gegen eine Haarwaschmittelfirma handeln , näselte Julius mit wichtigtuerischem Tonfall und näherte seine Nasenspitze dem flauschigen Objekt. Herbie sah kurz und unsicher zu ihm hinauf, was seine Tante stutzen ließ. Sollte ihr meschugger Neffe am Ende wieder diesen Wahnvorstellungen in Gestalt eines fetten, bärtigen Lebensgefährten verfallen sein?
    »Was um alles in der Welt ist das, Tantchen? Sieht aus wie ein Büschel türkisfarbener Haare.«
    Das ist ein Büschel türkisfarbener Haare!,   grunzte Julius.
    »Das ist ein Büschel türkisfarbener Haare!«, echote Henriette Hellbrecht, ohne dass sie es ahnte. »Ein Beweis dafür, dass sie noch lebt. Dass ich nicht lache!« Wieder füllte sie das zierliche Glas mit der giftgrünen, öligen Flüssigkeit und trank erneut. Herbie hatte sie lange nicht mehr so aufgeregt gesehen, ohne dass es sich dabei um ihn gehandelt hatte.
    »Du musst mir schon ein bisschen mehr erzählen, Tantchen. Es scheint dich furchtbar aufzuregen, aber versuch doch einfach mal in Ruhe zu erzählen, worum es sich hierbei handelt. Ich bin schließlich kein Hellseher oder so was.«
    »Natürlich.« Sie legte die Hand flach auf das faltige Dekolleté und zwang sich, ruhiger zu atmen. »Diese Haare lagen dem Erpresserbrief bei, den man mir heute Morgen in den Kasten geworfen hat. So ein schäbiger, gemeiner Brief! So eine abgeschmackte ...«
    Herbie hob beschwichtigend die Hand und bremste damit für einen Augenblick den hasserfüllten Redeschwall.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher