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Rabenschwarz

Rabenschwarz

Titel: Rabenschwarz
Autoren: Ralf Kramp
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gebrochenen Klang. Sie wirkte fahrig und hilflos. Ein Zustand, in dem sie sie in all den Jahren der Bitt-, Bettel- und Demutsbesuche noch niemals vorgefunden hatten. Doch da war noch etwas oder vielmehr, etwas war nicht da. Irgendetwas fehlte in dem gewohnten Bild.

Zweites Kapitel
    Richard Kley bezahlte den Taxifahrer und stieg aus. Als er die Autotüre hinter sich zugeschlagen hatte, wandte er sich nicht mehr um. Er konnte den Blick nicht von seinem früheren Eigenheim abwenden. Nur noch mit halbem Ohr hörte er, wie sich das Fahrzeug langsam entfernte, die Anhöhe hinunterfuhr und wieder in Richtung Euskirchen verschwand. Dann umfing ihn die spärlich flüsternde Geräuschkulisse des nächtlichen Dörfchens. Ein schwacher Wind strich durch das kaum mehr belaubte Geäst der beiden alten Buchen, die das Grundstück zur Straße hin säumten. Von links erklang für einen Moment das hysterische Geschrei zweier Katzen, die einander anscheinend ins Gehege gekommen waren.
    Das Haus lag unterhalb des Straßenniveaus am Ende einer flach abfallenden Steintreppe. Es gab keinerlei Zaun. Sträucher und Büsche wucherten wild. Gärtnern war noch nie Rosis Stärke gewesen. In seiner Abwesenheit schien sich die Natur endgültig den Vormarsch erkämpft zu haben. Richard lächelte wehmütig und blieb minutenlang schweigend stehen. Das Haus selber war alt. Nicht alt genug, um wirklich schön zu sein. Es hatte Verwandten von Rosi gehört, die es irgendwann in den Fünfzigern hier oben am Ortsrand errichtet hatten. Den schmucklosen Rauputz hatte man damals vermutlich für sehr attraktiv gehalten.
    Für sie beide war es ein Traum gewesen. Die eigenen vier Wände mitten in der Natur. Dank Rosis Erbschaft verfügten sie schon in jungen Jahren über ein eigenes Heim. Vielleicht war alles zu früh gewesen. Vielleicht hätten sie erst einmal miteinander gegen die Widrigkeiten des täglichen Lebens ankämpfen müssen, um für immer und ewig miteinander verschweißt zu werden. Vielleicht war aber auch alles vorherbestimmt gewesen, so, wie Rosi es vermutlich mit irgendeiner ihrer fernöstlichen Weisheiten, die sie so faszinierten, erklärt haben würde.
    Es brannte kein einziges Licht im Haus. Er sah auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Gleich elf. Im nächsten Haus, das ungefähr zweihundert Meter weiter die Straße hinunter stand, schimmerte hinter einem orangefarbenen Vorhang noch Licht in die Nacht hinaus. Der alte Kirsch konnte bestimmt noch nicht schlafen.
    Richard gab sich einen Ruck.
    Er drückte den Klingelknopf neben der schmucklosen braunen Haustüre. Ein schrilles Klingelgeräusch zerriss die Nacht. Es war noch lauter, als Richard erwartet hatte. Er hatte es immer gehasst, und sie hatten sich schon damals fest vorgenommen, sich irgendeine harmonisch klingende Hausglocke zuzulegen. Hätte er damals doch nur geklingelt, bevor er mit diesem Hans-Willi ... wie hieß der doch gleich ...?
    Im Haus rührte sich nichts.
    Er klingelte erneut. Es schrillte und schepperte, und er war sich sicher, dass man es noch im Haus des alten Kirsch hören konnte.
    Nach weiteren nervenaufreibenden Minuten in der Dunkelheit, in denen der Strom der Erinnerungen sich ungehemmt seinen Weg bahnte und es beinahe schaffte, dass Richard die Tränen in die Augen traten, fischte er aus dem Schlüsselbund, mit dem er seit geraumer Zeit nervös in der Jackentasche herumgespielt hatte, einen kleinen BKS-Schlüssel heraus. Er wog ihn einen Augenblick in der Rechten, bevor er ihn schließlich ins Schloss steckte und drehte. Mit einem leisen Schnappgeräusch öffnete sich die Türe und schwang ein paar Zentimeter auf. Dahinter herrschte Finsternis. Zögernd trat er ein. Die Luft roch abgestanden, beinahe ein wenig säuerlich. Seine Hand ertastete den Lichtschalter, als habe seine Abwesenheit höchstens zwei Wochen und nicht zwei Jahre betragen.
    Die Diele schien ihm nicht nennenswert verändert. Richard versuchte, sich an die Farbe der Vorhänge zu erinnern. Es schien ihm, als ... aber möglicherweise spielte ihm das künstliche Licht einen Streich. Im angrenzenden Wohnzimmer ging es ihm ähnlich. Ein paar Bilder erschienen ihm ungewohnt, ein neuer Teppich schien auf dem Boden zu liegen. War das noch der alte Fernseher? Er registrierte alles mit wenig Sorgfalt. Etwas anderes machte ihn unruhig. Rosi war nicht da. Er kehrte zurück in ein verlassenes Zuhause, das nicht mehr das seine war. Dann sah er die Fotografie.
    Der zierliche Metallrahmen stand auf der Durchreiche zur
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