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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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einer der Vögel seine Programmierung vergißt und aus dem Rondell entflieht. Ein vergeblicher Wunsch, natürlich.
    Das Gebäude ist aus Holzimitat gebaut, im Stil eines Hotels oder Rasthauses im Grünen. Hilgemann-Institute gibt es auf der ganzen Welt, obwohl man keinen Menschen dieses Namens finden wird, der dafür verantwortlich zu machen wäre. Jedermann weiß, daß International Services seinen Marketingberatern ein kleines Vermögen bezahlte, damit sie den bestmöglichen Namen für den Geschäftszweig >Psychiatrische Einrichtungen< fanden. (Ob das Wissen um die Herkunft des Namens dem Geschäft schadet oder im Gegenteil umsatzfördernd wirkt, weiß ich wirklich nicht.) IS betreibt auch Kliniken, Einrichtungen der Jugendfürsorge, Schulen, Universitäten, Gefängnisse und – neuerdings – auch Klöster. Für meinen Geschmack sehen sie alle wie Hotels aus.
    Ich will zum Empfangsschalter gehen, aber das erübrigt sich.
    »Mr. Stavrianos?«
    Dr. Cheng, die Stellvertreterin des ärztlichen Direktors, mit der ich kurz telefoniert habe, wartet schon in der Halle auf mich. Das ist ungewöhnlich zuvorkommend und bringt mich um die Chance, meine Nase unbeaufsichtigt in alle möglichen Ecken zu stecken. Hier gibt es keine weißen Kittel, ihr Kleid hat ein verrücktes Muster in der Art von Escher: endlose Reihen von Blüten oder Vögeln, je nach Betrachtungsweise. Sie führt mich durch eine Tür mit der Aufschrift >Zutritt nur für Personal< und weiter durch ein Labyrinth von Korridoren bis zu ihrem Büro. Wir setzen uns, abseits eines spartanischen Schreibtisches, in bequeme Polsterstühle.
    »Ich weiß es sehr zu schätzen, daß Sie mich so kurzfristig empfangen haben.«
    »Nicht der Rede wert. Wir sind mehr als froh, an der Aufklärung mitarbeiten zu können. Auch wir wollen Laura finden, unbedingt. Aber eines muß ich Ihnen sagen: Ich kann mir nicht vorstellen, was Lauras Schwester sich von einer Klage gegen uns verspricht. Das hilft Laura doch nicht weiter, oder?«
    Ich nicke beifällig. Vielleicht ist die Schwester – oder ihr Anwalt – mein Auftraggeber; aber wenn schon, wozu all diese Geheimnistuerei? Auch wenn ich nicht hier eingetrudelt wäre und mich als Vertreter der Gegenseite zu erkennen gegeben hätte, dann hätten die Hilgemann-Anwälte auch so angenommen, daß man einen Detektiv einschalten würde, früher oder später. Sie hatten längst ihren eigenen engagiert, so viel stand fest.
    »Sagen Sie mir, was Ihrer Meinung nach mit Laura passiert ist.«
    Dr. Cheng runzelt die Stirn. »Eines ist absolut sicher: Sie kann sich nicht aus eigener Kraft befreit haben. Laura könnte nicht einmal mit einer Türklinke umgehen. Jemand hat sie herausgeholt. Zwar ist das hier kein Gefängnis, doch haben wir ein nicht zu unterschätzendes Kontrollsystem. Nur ein sehr geschickter, sehr gut ausgerüsteter… Spezialist kann sie hier herausgeholt haben – in wessen Auftrag und aus welchem Grund, das kann ich mir beim besten Willen nicht denken. Für Lösegeldforderungen ist es inzwischen schon zu spät; abgesehen davon ist ihre Schwester nicht vermögend.«
    »Könnten sie die falsche Person erwischt haben? Vielleicht sollte ein anderer Ihrer Patienten entführt werden – einer, dessen Familie ein beträchtliches Lösegeld zahlen könnte –, und sie haben ihren Irrtum erst bemerkt, als es zu spät war.«
    »Das wäre denkbar.«
    »Kennen Sie ein mögliches Opfer? Ein Patient aus sehr vermögendem…«
    »Das kann ich wirklich nicht…«
    »Nein, natürlich nicht. Entschuldigen Sie.« Auf ihrem Gesicht ist zu lesen, daß es wohl mehr als ein Name ist, der ihr durch den Kopf geht. Aber sie will natürlich nicht, daß ich deren Familien mit Fragen belästige. »Ich nehme an, Sie haben Ihre Sicherheitsvorkehrungen verstärkt?«
    »Auch darüber kann ich leider nichts sagen.«
    »Natürlich. Sprechen wir von Laura. Was ist mit ihrer Behinderung? Woher stammt dieser Hirnschaden?«
    »Das läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.«
    »Gut, aber Sie haben doch eine Theorie? Welche möglichen Ursachen kommen in Frage? Röteln, Syphilis, Aids? Drogenmißbrauch der Mutter? Nebenwirkungen eines Medikaments, von Pflanzenschutzmitteln, Lebensmittelzusätzen…?«
    Sie schüttelt mit Nachdruck den Kopf. »Das alles ist mit ziemlicher Sicherheit auszuschließen. Ihre Mutter hat alle üblichen Vorsorgeuntersuchungen absolviert, sie war nicht krank, sie war nicht drogensüchtig. Und mit einer keimschädigenden oder mutagenen Substanz
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