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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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Trickkiste zu sein (auf den Satellitenbildern war dieser Eindruck noch stärker; war das grelle Sonnenlicht herausgefiltert, dann konnte man deutlich erkennen, wie sich der >Schlund< jenseits unseres Zentralgestirns wieder schloß – ein Vorgang von erschreckender, aber sehr künstlich wirkender Präzision).
    Wie hätte ich es mit eigenen Augen sehen sollen, wo es doch in Perth später Nachmittag war, als es passierte. Die Nachricht erreichte uns noch vor Sonnenuntergang, und zusammen mit meinen Eltern stand ich auf dem Balkon, während es dämmerte. Wir warteten. Als ich Venus aufgehen sah und es den Erwachsenen lautstark verkündete, verlor mein Vater die Fassung und schickte mich auf mein Zimmer. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe; bestimmt kannte ich schon den Unterschied zwischen Sternen und Planeten, aber vielleicht habe ich irgendeinen albernen Witz gemacht. Als ich dann aus dem Fenster meines Zimmers starrte – ich hatte die Wahl zwischen einer schmutzigen Scheibe und einem staubigen Fliegengitter –, da sah ich – nichts. Einfach nichts, wie hätte mich das beeindrucken sollen. Später, als ich endlich ungehindert einen Blick auf den leeren Himmel werfen konnte, versuchte ich pflichtgemäß ehrfürchtig zu staunen. Es ging nicht. Der Blick war nicht aufregender als in einer Nacht mit geschlossener Wolkendecke. Es dauerte einige Jahre, bis ich verstand, wie erschüttert meine Eltern gewesen sein mußten.
    Es gab Unruhen an diesem Tag, die Menschen liefen Amok. Wirklich schlimm war es natürlich da, wo die Erdenbürger das Schauspiel am Himmel mit eigenen Augen sehen konnten. Das war eine Frage von Längengrad und Wetter. Vom Westpazifik bis hinüber nach Brasilien war es Nacht, doch lagen über dem größten Teil von Nord- und Südamerika dichte Wolken. Klar war der Himmel über Peru, Kolumbien, Mexiko und Südkalifornien, also waren Lima, Bogotà, Mexiko City und Los Angeles am härtesten betroffen. In New York, wo das Schauspiel elf Minuten nach drei in der Frühe begann, war es bitterkalt bei bedecktem Himmel, weshalb die Stadt weitgehend verschont blieb. Brasilia und Sao Paulo rettete das erste Licht des Morgens.
    Hierzulande gab es keine Krawalle; auch für die Ostküste war der Sonnenuntergang zu spät gekommen, und so saßen die meisten Australier wie festgewachsen vor ihren Fernsehern und ließen andere Leute plündern und Häuser anzünden. Der Weltuntergang – das war einfach eine Nummer zu groß für dieses Land, das konnte es nur in Übersee geben. In Sydney kamen weniger Menschen zu Tode als an einem gewöhnlichen Silvesterabend.
    Im Rückblick scheint es mir, als folgten die Erklärungsversuche dem Ereignis auf dem Fuße. Erklärungen, soviel man wollte. Die Analyse der Sternbedeckungen hatte praktisch sofort ergeben, welcher bemerkenswerten Symmetrie der Vorgang gehorchte; vielleicht war das für mich Antwort genug. Schon sechs Monate später erreichten die ersten Sonden die Karriere, wie man die undurchdringliche schwarze Wand praktisch von Anfang an genannt hatte – was immer man später über ihre wahre Natur herausfinden würde.
    Die Barriere ist eine geometrisch perfekte Kugel mit einem Radius von zwölf Milliarden Kilometern, was etwa dem doppelten Abstand des Pluto von der Sonne entspricht; die Sonne steht im Mittelpunkt der Kugel. Die Barriere war mit einem Mal da, das Werk eines Augenblicks, obwohl der Abstand Erde/Sonne von acht Lichtminuten den Eindruck eines schwarzen Schlunds entstehen ließ, der langsam größer wurde und sich schließlich über das ganze Sonnensystem stülpte. Wo die Erde der Barriere am nächsten war, erloschen die Sterne zuerst, auf Höhe der Ekliptik jenseits der Sonne entsprechend der Laufzeit des Lichts zuletzt.
    Die Barriere stellt zwar eine räumlich exakt abgegrenzte Fläche dar, doch fehlt ihr jede materielle Basis. Man könnte an den Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs denken, nur daß er in diesem Fall konkav gekrümmt ist. Die Barriere absorbiert das Sonnenlicht vollständig und sendet selbst nichts als eine Art kosmischer Hintergrundstrahlung aus, die aber weit energieärmer als die tatsächliche Hintergrundstrahlung ist, die uns nicht länger erreichen kann. Nähert sich eine Sonde der Barriere, dann stellt man eine starke Rotverschiebung fest, ebenso eine Zeitdilatation an Bord des Raumfahrzeugs – doch wurden nie Gravitationskräfte gemessen, die diese Effekte hätten erklären können. Bringt man Sonden auf eine Bahn, die die
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