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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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Thema nicht mehr los, endlos kreisen immer dieselben Fragen in meinem Kopf. Ich wünsche nicht, daß Duprey freigelassen wird. Ich wünsche, man hätte ihn nie geschnappt.
    Verrückte gab es zuhauf, nicht nur unter jenen, für die das tausendjährige Königreich Christi angebrochen war. Für die, die an gar nichts glaubten, gab es immerhin die Barrieren-Phobie – eine so heftige hysterische Reaktion, daß sie mit komplettem Irrsinn gleichzusetzen ist. Letzten Endes eine Art Platzangst – die Vorstellung, in einem Raumvolumen >eingeschlossen< zu sein, das acht Trillionen Mal größer ist als das Erdvolumen. Heute hört es sich eher komisch an, wie eine Marotte, eine Modekrankheit der feinen Leute im neunzehnten Jahrhundert – aber tatsächlich gab es im ersten Jahr Millionen von Opfern. Kein Land blieb verschont von der Barrieren-Phobie, und die Gesundheitsbehörden befürchteten, daß die Kosten weltweit die der gesamten Aids-Epidemie übersteigen würden. Doch war die Zahl der Erkrankungen innerhalb von fünf Jahren praktisch auf Null gesunken.
    Kriege und Revolutionen rund um den Globus wurden der Barriere zur Last gelegt – obwohl ich mich frage, wie jemand den zweifellos destabilisierenden Effekt von anderen Ursachen wie Armut, Überschuldung, Klimaveränderung, Hunger und Umweltverseuchung unterscheiden will. Vom überall und jederzeit gegenwärtigen religiösen Fanatismus ganz zu schweigen. Ich habe gelesen, daß die Leute in den ersten Jahren ernsthaft von einem Zusammenbruch der Zivilisation sprachen, vom Beginn eines neuen dunklen Zeitalters. Auch das war bald vorbei – doch kann ich auch heute noch nicht sagen, ob ich es als ein Wunder betrachte oder eine ganz normale Entwicklung, daß die Menschheit diesen Schock so rasch und fast beiläufig verarbeitet hat. Die Barriere hat alles verändert. Hatte sie nicht die Existenz von Außerirdischen mit fast gottgleicher Macht bewiesen, die uns ohne Vorwarnung oder Begründung eingesperrt hatten – die uns hinderten, in den Sternen unsere Bestimmung zu finden? Die Barriere hat nichts verändert. Waren die Außerirdischen nicht gänzlich uninteressiert an uns? Und waren die Sterne nicht völlig bedeutungslos für uns, solange die Sonne schien, die Pflanzen gediehen, das Leben auf der Erde weitergehen konnte wie zu allen Zeiten? Außerdem gab es auch in der unmittelbaren Nachbarschaft neue Welten zu entdecken und erforschen – genug für die nächsten paar tausend Jahre.
    In den frühen fünfziger Jahren galt es als ausgemacht – niemand wußte, warum –, daß die Barrieren-Erbauer schon bald von sich hören lassen würden, um ihr Vorgehen zu begründen, sich zu rechtfertigen. Sekten entstanden, die mittels ihrer Rituale Kontakt mit den Fremden aufnehmen wollten; jede Art Ufo-Schwindel florierte. Doch die Jahre vergingen, ohne daß sich zwischen den Wolken eine Stimme erhob, und niemand wagte noch, auf eine baldige Erklärung für unsere Gefangenschaft zu hoffen.
    Heute verschwende ich keinen einzigen Gedanken mehr auf das Warum. Dreißig Jahre, in denen die Leute ihre absurden Hypothesen vor einem ausgebreitet haben, sind einfach genug. Auch wenn die Barriere – indirekt – meiner Frau den Tod gebracht hatte – ich selbst hatte – indirekt – meinen Teil dazu beigetragen.
    Was die Sterne betraf, so hatten wir nichts verloren. Verloren hatten wir in Wahrheit nur die Illusion, sie jemals erreichen zu können.
     
    Wie immer meldet sich Bella pünktlich auf die Minute. Der Sturzbach von Daten ergießt sich in den umfangreichen Speicher von Chiffre. Ich mache mich daran, sie aus meinem Kopf auf das Terminal zu überspielen, als ich plötzlich stocke. Ein Anflug von Verfolgungswahn vielleicht; vielleicht nur gesunde Vorsicht. Ich beschließe, die Daten erst einmal dort zu lassen, wo sie sicher sind: in dem knöchernen Gehäuse meines Schädels.
    Ich bin müde, dabei ist es erst kurz nach neun. Das ist kein Schlafbedürfnis, das ist der heimliche Wunsch, auf irgendeine Weise dem unerträglich öden Herumwühlen in den Hilgemann-Akten zu entgehen.
    Ich rufe AutoMental auf (Axon, vierhundertundneunundneunzig Dollar) und gebe meine Anweisungen: Jeder einzelne Name soll daraufhin überprüft werden, ob in meinem natürlichen Gedächtnis eine Assoziation gespeichert ist (schließlich könnte es sein, daß ein naher Verwandter eines Patienten eine prominente Person ist); über die üblichen Auskunfteien sollen Informationen über die wirtschaftlichen Verhältnisse
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