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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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können.
    Mein anonymer Klient (Klientin?) vermutet, daß Laura entführt wurde, hüllt sich aber hinsichtlich eines Motivs in Schweigen. Im Augenblick habe ich kein Urteil, das ist nicht der Zustand, in dem man sich eine Meinung bilden kann: Hat man den Kopf voll mit Wissen, das einem auf diese Weise eingetrichtert wurde, dann sieht man die Sache zu sehr aus der Perspektive des Auftraggebers und geht womöglich irgendwelchen Lügen auf den Leim.
    Ich öffne die Augen, schleppe mich mühsam aus dem Bett und hinüber zu dem Terminal in der Ecke des Zimmers. Ich habe es zum Prinzip gemacht, die finanzielle Seite niemals über Neuroinput abzuhandeln. Ein paar wenige Tasten, und ich sehe, daß man meinem Konto einen ausreichenden Honorarvorschuß angewiesen hat. Akzeptiere ich die Überweisung, dann bestätige ich dem Klienten, daß ich den Fall übernommen habe. Ich denke nach, ich muß die Einzelheiten noch einmal zurückrufen, ich muß wissen, was für einen Auftrag ich da übernehme: Es gibt immer einen Rest von Traumlogik bei solchen Telefonaten, ein Verdacht, daß man am Morgen erwachen und feststellen wird, daß alles nichts als Unsinn ist. Schließlich bestätige ich den Zahlungseingang.
    Es ist eine heiße Nacht. Ich trete auf den Balkon und blicke auf den Fluß hinunter. Sogar früh um drei wimmelt es auf dem Wasser von Leuten, die sich vergnügen. Orange- und limonenfarben fluoreszieren die Segel der Windsurfer in der Dunkelheit; hin- und herzuckende Scheinwerfer von Zwölfmeterjachten strahlen heller als die Sonne. Auf den drei großen Brücken drängen sich Fußgänger und Radfahrer. Am östlichen Himmel, über dem Casino, blitzt und wirbelt die Leuchtreklame; gigantische Hologramme von Spielkarten, Würfeln, Champagnergläsern tanzen durch die Luft. Schläft denn keiner mehr in dieser Welt?
    Ich blicke hinauf in den schwarzen, leeren Himmel und gerate, unerklärlicherweise, fast in Verzückung. Wir haben heute keinen Mond, keine Wolken, keine Planeten, und die einförmige Schwärze verweigert jederlei Anhaltspunkt, jederlei tröstliche Illusion über die Ausdehnung des Raums. Es könnte das andere Ende des Weltraums sein, worauf ich starre, es könnte auch die Innenseite meiner Augenlider sein. Ein Gefühl von Übelkeit und Schwindel steigt auf – kein Wunder, wenn Platzangst und die erneute Einsicht in die schlicht un- menschlichen Dimensionen der Barriere miteinander im Wettstreit liegen. Ich schaudere – sehr kurz, sehr heftig –, dann ist es vorbei.
    Karen, meine verstorbene Frau, steht plötzlich neben mir auf dem Balkon. Auch diese Halluzination ist das Produkt eines Neuromoduls. Sie legt einen Arm um meine Hüfte und sagt: >Nick? Was ist los?< Ihre Hand ist kühl, sie spreizt die Finger und streicht wie mit Spinnenbeinen über meinen Bauch. Fast hätte ich sie gefragt, ob sie jemals die Sterne vermißt habe. Aber ich lasse es sein. Das würde lächerlich sentimental klingen. Gut, daß ich mich gerade noch beherrschen kann.
    Ich schüttle den Kopf. »Nichts.«
     
    Das Grün auf dem Gelände des Hilgemann-Instituts ist so üppig und saftig, wie die Gentechnik – und ein leistungsfähiges Bewässerungssystem – es nur erlauben, auch wenn man im Hochsommer nichts als braune, vertrocknete Pflanzen erwarten sollte. In der Vormittagshitze glitzert der Rasen, als läge noch der Morgentau darüber; zweifellos wird er aus unterirdischen Leitungen ständig bewässert. Unter Bäumen, die irgendwie an Ahorn erinnern, schlendere ich den Weg zum Hauptgebäude entlang. Das Image, das man sich hier leistet, ist wirklich kostspielig. Ein so unbekümmerter Umgang mit Wasser muß bei den heutigen Preisen, die fast schon eine Strafe sind, mit astronomischen Summen zu Buche schlagen. Dabei sollen sie sich in den nächsten Monaten verdoppeln. Die dritte Kimberley-Pipeline, die das Wasser von den Stauseen zweihundertfünfzig Kilometer weiter im Norden hierhertransportieren soll, ist inzwischen schon viermal teurer als geplant geworden. Die Pläne für eine Entsalzungsanlage sind auf Eis gelegt, wieder einmal – vermutlich hat eine Überschwemmung des Markts für Meeresmineralien dem Projekt den Todesstoß gegeben.
    Der Weg mündet in eine kreisförmige Auffahrt, die ein Rondell umschließt, ein einziges Meer von Blumen in allen Farben. Genmanipulierte Kolibris (Marke IS) schweben über den Blüten, schießen wieder davon; ich bleibe stehen und beobachte sie eine Weile. Nur zu gerne würde ich einmal erleben, wie
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