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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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ist nicht das, was ich beim Erwachen gern sehen würde, aber was wußte ich schon über Lauras Geschmack. Es gibt ein einziges großes Fenster neben dem Bett, das fest in der Wand verankert ist und nicht den Eindruck macht, als hätte man bei seiner Konstruktion auch ans Öffnen gedacht. Die Scheibe ist aus hochfestem Kunststoff, der auch einer Gewehrkugel standhalten würde, obwohl man ihn mit der richtigen Ausrüstung schneiden und wieder verschließen kann, ohne daß eine sichtbare Naht bleibt. Ich nehme meine Kamera aus der Tasche und mache ein paar Aufnahmen; im polarisierten Licht des Laserblitzes konnte das schon anders aussehen. Aber auch das Falschfarbenbild zeigt keine Spannungslinien. Diese Fensterscheibe hat niemand angerührt.
    Um die Wahrheit zu sagen: Es gibt nichts, was ich hier tun kann, was nicht die Spurensicherung der Polizei schon vor mir und besser getan hat. Sicher haben sie den Teppichboden holographisch auf Fußabdrücke untersucht, sicher haben sie ihn abgesaugt und jeden einzelnen Fusel, jeden Krumen biologischer Substanz analysiert. Sicher haben sie das Bettzeug ins Labor geschafft und auch den Boden draußen vor dem Fenster nicht vergessen, der das eine oder andere mikroskopisch kleine Indiz liefern konnte. Aber zumindest habe ich jetzt eine genaue Vorstellung von diesem Zimmer; das ist eine solide Grundlage für Spekulationen über die Vorgänge jener Nacht.
    Dr. Cheng begleitet mich zurück in die Empfangshalle.
    »Darf ich Sie etwas fragen, das nichts mit Laura zu tun hat?«
    »Bitte?«
    »Haben Sie hier viele Patienten mit Barrieren-Phobie?«
    Sie lacht und schüttelt den Kopf. »Nicht einen einzigen. Barrieren-Phobie ist leider ganz aus der Mode gekommen.«
     
    Weil ich mein Geschäft verstehe und weil ich innerhalb gewisser Grenzen auch zahlungsfähig bin, kann ich jederzeit über jede beliebige Person etwas herausfinden. Und das ohne allzuviel Mühe. Martha Andrews ist neununddreißig Jahre alt und arbeitet als Systemanalytikerin für WestRail. Sie ist geschieden und hat das Sorgerecht für ihre beiden Söhne. Ihr Einkommen ist durchschnittlich, ihre Schulden sind es auch, und ihre bescheidene Dreizimmerwohnung gehört ihr immerhin zu zweiundvierzig Prozent. Das Geld für das Hilgemann-Institut kommt aus einem Fond, den ihre Eltern hinterlassen haben. Ihr Vater starb vor drei Jahren, die Mutter ein Jahr später. Nicht gerade das geeignete Objekt für eine Erpressung.
    Nach wie vor ist die wahrscheinlichste Hypothese die, daß Laura das Opfer einer Verwechslung wurde; das paßt zwar nicht zu der professionellen Arbeitsweise der Entführer, aber einen Fehler macht schließlich jeder mal. Was ich jetzt brauche, ist eine Liste aller Patienten im Hilgemann. Auch einige Details über das Personal könnten nicht schaden.
    Ich rufe den gewohnten Hacker-Service an.
    Das Klingeln, scheint irgendwo tief aus meinem Schädel zu kommen. Es ist offensichtlich, daß die Psychologen von NeuroComm diesen akustischen Effekt erdacht haben, um den Eindruck von Vertraulichkeit zu erwecken. Mich beeindruckt es nicht, ich kriege Platzangst. Gleichzeitig verblassen die Farben der Außenwelt, meine Augen sehen nur noch schwarzweiß: Das soll die Ablenkung vermindern, aber tatsächlich empfindet man auch das nur als einen weiteren lästigen Zaubertrick.
    Bella antwortet wie immer beim vierten Klingeln. Vielleicht ein Meter vor mir taucht ihr Gesicht auf, hebt sich lebhaft und lebensecht von dem Schwarzweiß der wirklichen Welt ab. Kopf und Hals, mehr von ihr ist nicht zu sehen, als würde ein Scheinwerfer vor abgedunkeltem Saal eine Bühnenszene ausleuchten. Sie lächelt kühl. »Andrew! Schön, Sie zu sehen. Was kann ich für Sie tun?« >Andrew< heißt eine der Masken, die Chiffre für mich – sozusagen als Interface – nach draußen projiziert. Auch ihr Gesicht ist möglicherweise eine elektronisch erzeugte Maske, die Wort für Wort wiedergibt, was ein wirklicher Mensch im Hintergrund zu sagen wünscht – könnte aber auch ein reines Kunstprodukt sein, nichts weiter als das Interface, irgendeiner Maschine, angefangen beim Ultra-Tech-Anrufbeantworter bis hin zur Personifikation des Computersystems selbst, das das Hacken besorgt. Mir ist es gleich, wer oder was Bella ist, solange sie/er/es oder alle zusammen mir die gewünschten Informationen liefern.
    >Das Hilgemann-Institut in Perth. Ich brauche die Kranken- und Personalakten, komplett.<
    >Wie weit zurück?<
    >Ähm… sagen wir dreißig Jahre, wenn die
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