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Quarantäne

Quarantäne

Titel: Quarantäne
Autoren: Greg Egan
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läßt sich Lauras Zustand nicht erklären. Sie finden bei ihr keinerlei Mißbildung, keine Stoffwechselstörung, keine abnormen Proteine, keine Gewebsveränderungen…«
    »Warum ist sie dann so zurückgeblieben?«
    »Es sieht so aus, als ob bestimmte wichtige Nervenverbindungen, die sich in einem frühen Stadium bilden, bei Laura fehlen – und dieses Fehlen machte jede weitere normale Entwicklung unmöglich. Die Frage ist, warum sich diese Nervenverbindungen nicht gebildet haben. Wie ich schon sagte, wir sind uns nicht sicher, doch vermute ich, daß es ein komplexer genetischer Defekt ist, ein Zusammenwirken mehrerer eher unauffälliger Faktoren, das sich dann bei der Embryonalentwicklung so katastrophal auswirkt.«
    »Wüßten Sie das nicht, wenn es ein genetisches Problem wäre? Könnte man nicht ihre DNA untersuchen?«
    »Es liegt kein bekannter und katalogisierter Defekt des Erbguts vor, wenn Sie das meinen – was nur beweist, daß es für die Gehirnentwicklung wesentliche Gene gibt, die wir erst noch identifizieren müssen.«
    »Ist die Behinderung in ihrer Familie schon früher aufgetreten?«
    »Nein, aber wenn mehrere Gene daran beteiligt sind, ist das nicht weiter überraschend; die Wahrscheinlichkeit, daß bei einem Verwandten dieselben Bedingungen vorliegen, ist gering.« Sie runzelt die Stirn. »Verzeihen Sie, aber hilft Ihnen das irgendwie bei der Suche?«
    »Nun ja, wenn ein Hersteller von Medikamenten oder Lebensmitteln dafür verantwortlich wäre, dann würde er seine Interessen zu wahren versuchen. Es ist eine Weile her, ich weiß, aber es könnte doch sein, daß irgendein wenig bekanntes Forscherteam kurz vor einem wichtigen Durchbruch steht: Angenommen, sie könnten bald beweisen, daß das Wundermittel X, das einzig wahre Antidepressivum der dreißiger Jahre, in einem von hunderttausend Fällen aus einem Embryo das macht, was bei Laura passiert ist. Sie kennen sicher die Geschichte von Holistic Health Products in den Vereinigten Staaten: Bei sechshundert Menschen kam es zum Nierenversagen, nachdem sie regelmäßig ihre kleinen Aufheller eingenommen hatten. Und der Hersteller engagierte ein Dutzend professioneller Killer, und alle Opfer starben nach und nach bei bedauerlichen Unglücksfällen. Bei einem Toten kommt die Schadenersatzklage billiger als bei einem Lebenden. Gut, eine Entführung macht wenig Sinn, aber wer weiß? Vielleicht müssen sie Laura untersuchen, um sich mit Argumenten für den Prozeß zu versorgen?«
    »Für mich klingt das alles ziemlich paranoid.«
    Ich zucke mit den Schultern. »Eine Berufskrankheit.«
    Sie lacht. »Ihre oder meine? Aber lassen wir das. Ich habe Ihnen gesagt, daß es sich in Lauras Fall um einen angeborenen Defekt handelt.«
    »Aber Sie sind sich nicht absolut sicher.«
    »Nein.«
    Ich stelle die üblichen Fragen zum Personal: Neueinstellungen und Entlassungen in den letzten Monaten… jemand, der Schulden oder andere Probleme hatte… jemand, der seinem Arbeitgeber eins auswischen wollte… Das alles hatte die Polizei schon mehr als einmal durchgemacht, aber nach vier Wochen ergebnislosen Nachforschens konnte auch irgendein unbeachtetes Detail sich als bedeutsam erweisen.
    Nichts dergleichen.
    »Kann ich ihr Zimmer sehen?«
    »Aber sicher.«
    Wir gehen durch Korridore, an deren Decken im Abstand von zehn Metern Kameras montiert sind. Ich schätze, daß man an wenigstens sieben Kameras vorbei muß, wenn man zu Lauras Zimmer geht, gleich aus welcher Richtung man kommt. Ein Daten-Chamäleon ist nicht billig, aber für sieben Stück mochte das Budget eines wirklichen Profis schon reichen. Hatte man so einen stecknadelkopfgroßen Prozessor erst einmal in der Datenleitung untergebracht, dann speicherte er das Bildsignal eines bestimmten Augenblicks – wenn der Korridor leer war – und gab esanschließend anstelle des richtigen Bildes weiter. Natürlich mußte man beim Ein- und Ausblenden des gefälschten Bildes mit einigem hochfrequenten Rauschen rechnen, aber das war vom Rauschen eines normalen Videobands nicht zu unterscheiden. Solange man nicht jeden Meter des Lichtleiterkabels unter dem Elektronenmikroskop auf die winzigen Einstiche hin untersuchte, würde man nie feststellen können, ob eine solche Manipulation stattgefunden hat.
    Die Tür, die ferngesteuert geöffnet und geschlossen wird, ist ein kaum größeres Hindernis.
    Das Zimmer ist klein und spärlich möbliert. Auf einer Wand breitet sich ein fröhlich-buntes Bild mit Blumen und Vögeln aus. Es
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