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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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zeigen, in der alles nach Plan verläuft?«
    »Nein. Aber warum zeigst du nicht eine Dramatisierung, in der alles schiefgeht, und zwar genauso, wie es geschehen ist?«
    »Wozu? Es ist doch genauso geschehen, und ich habe alles gefilmt. Wer hätte etwas von einer Rekonstruktion?«
    »Zum Beispiel die Familie des Opfers.«
    Möglicherweise, dachte ich. Aber würde eine Rekonstruktion wirklich ihre Gefühle schonen? Auf jeden Fall würde niemand sie dazu zwingen, die Dokumentation anzusehen.
    »Sei vernünftig«, sagte ich. »Es sind spektakuläre Aufnahmen, ich kann sie nicht einfach wegwerfen. Und ich habe das Recht, sie zu benutzen. Ich hatte alle notwendigen Genehmigungen, mich dort aufzuhalten – von der Polizei und vom Krankenhaus. Und ich werde auch das Einverständnis der Familie einholen…«
    »Du meinst, die Anwälte des Senders werden sie so lange bearbeiten, bis sie ›im Interesse der Öffentlichkeit‹ irgendeine Verzichtserklärung unterschreiben.«
    Darauf wußte ich keine Erwiderung, denn es war genau das, was geschehen würde. »Du hast gerade erklärt, daß die Wiederbelebung pervers ist«, sagte ich. »Du willst, daß die Prozedur verboten wird? Damit könnte ich einen wichtigen Anstoß für die Kampagne liefern. Kein Maschinenstürmer könnte sich ein besseres Beispiel für Frankensteinologie wünschen.«
    Gina wirkte getroffen, aber ich konnte nicht erkennen, ob sie mir möglicherweise etwas vorspielte. »Ich habe einen Doktor in Materialwissenschaft, du Bauer«, sagte sie, »also bezeichne mich nicht als…«
    »Das habe ich gar nicht getan. Du weißt, was ich gemeint habe.«
    »Wenn irgend jemand ein Maschinenstürmer ist, dann du. Das Ganze klingt allmählich nach Edeniten-Propaganda. ›Gepanschtes DNS!‹ Und wie lautet der Untertitel? ›Ein biotechnischer Alptraum‹?«
    »Du bist nahe dran.«
    »Ich verstehe nur nicht, wieso du nicht eine einzige positive Geschichte bringen kannst…«
    »Das haben wir doch schon mehrfach ausdiskutiert«, erwiderte ich erschöpft. »Ich habe keinen Einfluß darauf. Die Sender kaufen nur Geschichten, die einen Skandal versprechen. In diesem Fall sind es die Schattenseiten der Biotechnik. Darum geht es, das Thema muß mit einem Standpunkt vermittelt werden. Es geht nicht um ›Ausgewogenheit‹. Ausgewogenheit irritiert die Marketingleute. Man kann nichts lancieren, in dem zwei sich widersprechende Botschaften enthalten sind. Es wäre zumindest eine Gegenstimme zu all den Lobeshymnen an die Gentechnik, mit denen in letzter Zeit jeder beträufelt wird. Und im großen Zusammenhang dient es letztlich dazu, ein ausgewogenes Gesamtbild zu liefern. Indem ich das hinzufüge, was alle anderen ausklammern.«
    Gina blieb ungerührt. »Das ist unaufrichtig. ›Unsere Sensationsmache gleicht nur die Sensationsmache der anderen aus.‹ So ist es nicht. Damit werden nur die Meinungen polarisiert. Was ist so falsch an einer mäßigen, vernünftigen Vorstellung der Tatsachen – die durchaus dazu beitragen könnte, daß die Wiederbelebung und andere skandalöse Greueltaten verboten werden –, ohne all den alten Unsinn über ›Sünden wider die Natur‹ aufzuwärmen? Warum kann man nicht die Exzesse zeigen und sie trotzdem in den großen Zusammenhang stellen? Du solltest den Menschen dabei helfen, ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Tatsacheninformationen zu treffen, damit sie begründete Forderungen an die Kontrollinstanzen stellen können. Ein Titel wie Gepanschtes DNS dürfte sie eher dazu verleiten, einen Bombenanschlag auf das nächste biotechnische Labor zu verüben.«
    Ich kauerte mich in den Sessel und stützte meinen Kopf auf den Knien ab. »Also gut, ich gebe auf. Alles, was du sagst, ist wahr. Ich bin ein mit Vorurteilen behafteter, wissenschaftsfeindlicher Unruhestifter.«
    Sie runzelte die Stirn. »Wissenschaftsfeindlich? So weit würde ich nicht gehen. Du bist käuflich, bequem und verantwortungslos – aber du bist noch kein Anwärter auf die Mitgliedschaft in einem Ignoranzkult.«
    »Dein Vertrauen rührt mich.«
    Sie warf ein Kissen nach mir, ich glaube, in liebevoller Absicht, und kehrte dann in die Küche zurück. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen, worauf der Raum zur Seite kippte.
    Ich hätte jubeln sollen. Es war vorbei. Die Wiederbelebung war der allerletzte Filmbeitrag für Gepanschtes DNS. Keine paranoiden Milliardäre mehr, die sich in völlig autonome Ökosphären verwandelt hatten. Keine Versicherungsgesellschaften mehr, die
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