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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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oder verlorengehen.
    Doch in Wahrheit hegte ich keinerlei Neid auf meine Kollegen aus der analogen Ära. Die komplizierte Mechanik ihres Handwerks hätte mich in den Wahnsinn getrieben. Der langsamste Arbeitsschritt bei der digitalen Montage war die menschliche Entscheidungsfindung, und ich hatte gelernt, beim zehnten oder zwölften Versuch zum richtigen Urteil zu kommen. Die Software konnte den Rhythmus einer Szene frisieren, jeden Schnitt feinabstimmen, den Ton verbessern und unerwünschte Passanten entfernten – sogar komplette Gebäude versetzen, falls es notwendig war. Um die Mechanik mußte ich mich nicht kümmern, so daß es nichts gab, was mich von den Inhalten ablenkte.
    Das einzige, was ich mit Gepanschtes DNS machen mußte, bestand darin, Echtzeitaufnahmen von einhundertachtzig Stunden in etwas Sinnvolles von fünfzehn Minuten Länge zu transformieren.
    Ich hatte vier Geschichten gedreht und wußte bereits, wie ich sie anordnen wollte, nämlich als allmählichen Übergang von Grau nach Schwarz. Ned Landers und die wandelnde Ökosphäre. Das Versicherungsimplantat der HealthGuard. Die Interessengruppe Freiwilliger Autisten. Und Daniel Cavolinis Wiederbelebung. SeeNet hatte nach Exzessen, nach Extremen und Frankensteinologie verlangt. Und ich würde keine Probleme damit haben, ihnen genau das zu geben, was sie wollten.
    Landers hatte sein Vermögen mit Trockencomputern verdient, nicht mit Biotechnik, aber dann hatte er mehrere Molekulargenetik-Firmen gekauft, die über große Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügten und ihm bei seiner persönlichen Mutation behilflich sein sollten. Er hatte mich angefleht, ihn in einer versiegelten geodätischen Kuppel voller Schwefeldioxid, verschiedenen Stickoxiden und Benzolverbindungen zu filmen – ich in einem Druckanzug, er selbst in Badehosen. Wir hatten es versucht, aber die Glasscheibe vor meinem Gesicht hatte sich immer wieder mit karzinogenen Ablagerungen beschlagen, so daß wir ein neues Treffen in Portland vereinbaren mußten. Obwohl die vergiftete Kuppel zunächst vielversprechend gewirkt hatte, erwies sich der tadellose blaue Himmel des Staates, dessen Gesetzgebung mit Kalifornien um die niedrigsten Emissionswerte jedes bekannten Schadstoffs wetteiferte, dann doch als wesentlich surrealerer Hintergrund.
    »Ich muß überhaupt nicht atmen, wenn mir der Sinn danach steht«, hatte Landers mir anvertraut, während er von einem sichtlichen Überfluß an frischer, sauberer Luft umgeben war. Diesmal hatte ich ihn überreden können, das Interview in einem kleinen Park zu führen, genau gegenüber des bescheidenen Hauptgebäudes der NL-Gruppe. (Im Hintergrund spielten einige Kinder Fußball, aber die Konsole würde sich um alle Zwischenübergänge kümmern und im Problemfall auf Knopfdruck eine Lösung anbieten.) Landers war Ende Vierzig, aber er hätte sich problemlos als fünfundzwanzig ausgeben können. Mit seinem robusten Körperbau, dem goldenen Haar, den blauen Augen und der strahlend rosafarbenen Haut sah er eher wie die Hollywood-Version eines Farmers aus Kansas (aus den guten alten Zeiten) als ein reicher Exzentriker aus, dessen Körper mit genetisch manipulierten Algen und fremden Genen überschwemmt war. Ich betrachtete ihn auf dem Flachbildschirm der Konsole und hörte seinen Worten zu, die aus den simplen Stereo-Lautsprechern kamen. Ich hätte die Aufzeichnung direkt in meine Seh- und Hörnerven einspeisen können, aber die meisten Zuschauer benutzten einen Bildschirm oder einen Kopfhörer, weswegen ich mich davon überzeugen mußte, daß die Software wirklich ein ruhiges, glaubwürdiges und rechteckiges Pixelmuster aus den stenographischen Skizzen meiner Netzhaut erzeugt hatte.
    »Die Symbionten, die in meinem Blutkreislauf leben, können immer wieder neuen Sauerstoff aus dem Kohlendioxid zurückgewinnen. Sie erhalten die nötige Energie durch Sonnenlicht, das auf meine Haut fällt, und sie setzen jedes Glukosemolekül frei, das sie entbehren können. Aber das reicht nicht annähernd aus, um mich zu ernähren, und sie benötigen alternative Energiequellen, wenn es dunkel ist. Dafür sind die Symbionten im Magen- und Darmtrakt da. Ich habe siebenunddreißig verschiedene Typen, die sich gegenseitig ergänzen. Ich kann Gras essen. Ich kann Papier verdauen. Ich könnte mich von alten Gummireifen ernähren, wenn ich sie in Stücke schneide, die klein genug sind, um sie verschlucken zu können. Wenn morgen jedes pflanzliche und tierische Leben von
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