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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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Implantate konstruieren ließen, um Ernährung, sportliche Aktivitäten und Umweltbelastungen zu überwachen und daraus immer wieder neu die wahrscheinliche Lebenserwartung und vermutliche Todesursache der Versicherten zu berechnen. Keine Freiwilligen Autisten mehr, die um das Recht kämpften, sich die Gehirne chirurgisch verstümmeln zu lassen, um endlich den Zustand zu erreichen, der ihnen bislang von der Natur vorenthalten worden war…
    Ich ging in mein Arbeitszimmer und zog das Ende des Glasfaserkabels aus der Schnittkonsole. Ich hob mein T-Shirt an und entfernte einige Überreste, auf die ich nicht weiter eingehen möchte, aus meinem Nabel. Dann zog ich den hautfarbenen Stecker mit den Fingernägeln heraus und legte eine kurze Röhre aus rostfreiem Stahl frei, die in einem opalisierenden Laserport endete.
    Gina rief aus der Küche: »Gibst du dich wieder einmal sittenwidrigen Handlungen mit deiner Maschine hin?«
    Ich war viel zu müde für eine intelligente Entgegnung. Ich steckte die Anschlüsse zusammen, worauf die Konsole zum Leben erwachte.
    Der Bildschirm zeigte alles, was überspielt wurde. Acht Stunden auf sechzig Sekunden gerafft. Das meiste war unidentifizierbares Geflimmer, aber ich wandte dennoch den Blick ab. Ich hatte keine Lust, die Ereignisse der vergangenen Nacht noch einmal zu durchleben, nicht einmal in Form eines flüchtigen Eindrucks.
    Als Gina mit einem Teller Toast hereinkam, drückte ich auf einen Knopf, um den Bildschirm abzuschalten. »Trotzdem würde ich gerne wissen«, sagte sie, »wie du mit viertausend Terabyte RAM in der Bauchhöhle herumlaufen kannst, ohne sichtbare Narben aufzuweisen.«
    Ich blickte auf die Steckverbindung hinunter. »Wie nennst du das? Unsichtbar?«
    »Zu klein. Achthundert-Terabyte-Chips haben einen Durchmesser von dreißig Millimetern. Ich habe im Katalog des Herstellers nachgesehen.«
    »Sherlock läßt grüßen, wie? Oder sollte ich Shylock sagen? Narben lassen sich beseitigen, wie dir bekannt sein dürfte.«
    »Ja, aber… hättest du die Narben deines wichtigsten Initiationsrituals entfernen lassen?«
    »Erspare mir dieses Anthropologengeschwätz.«
    »Ich hätte da eine alternative Theorie.«
    »Ich habe weder etwas bestätigt noch abgestritten.«
    Sie ließ ihren Blick über den leeren Konsolenbildschirm wandern, dann hinauf zum Repo-Man-Foster an der Wand dahinter. Es zeigte einen Motorradpolizisten, der hinter einem zerbeulten Auto stand. Sie schaute mich kurz an und deutete dann auf die Schlagzeile: SCHAU NICHT IN DEN KOFFERRAUM!
    »Warum nicht? Was befindet sich im Kofferraum?«
    Ich lachte. »Du kannst es nicht mehr ertragen, wie? Dann wirst du dir den Film ansehen müssen.«
    »Ja, ja.«
    Die Konsole piepte. Ich entklinkte mich. Gina sah mir neugierig zu. Mein Gesichtsausdruck mußte ihr irgend etwas verraten haben. »Ist es eher wie Sex… oder wie Defäkation?«
    »Eher wie die Beichte.«
    »Du bist in deinem ganzen Leben noch nie bei einer Beichte gewesen.«
    »Nein, aber ich habe es paarmal in Filmen gesehen. Und es sollte ohnehin ein Scherz sein. Es ist nichts von allem.«
    Sie warf einen Blick auf ihre Uhr, küßte mich auf die Wange und hinterließ ein paar Toastkrümel auf meiner Haut. »Ich muß mich beeilen. Leg dich schlafen, du Idiot. Du siehst furchtbar aus.«
    Ich setzte mich und hörte zu, wie sie in der Wohnung herumkramte. Sie machte an jedem Morgen eine neunzigminütige Zugfahrt zum CSIRO-Forschungszentrum für Windturbinen, das westlich der Blauen Berge lag. Meistens stand ich gemeinsam mit ihr auf. Es war besser, als allein aufzuwachen.
    Ich dachte: Ich liebe sie wirklich. Und wenn ich mich konzentriere, wenn ich die Regeln beachte, gibt es keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte. Ich stand kurz davor, meinem bisherigen Rekord von achtzehn Monaten zu übertreffen – aber deswegen mußte ich mir keine Sorgen machen. Wir würden ihn mühelos brechen.
    Sie erschien wieder im Türrahmen. »Wieviel Zeit hast du, um diesen Bericht zu schneiden?«
    »Oh. Genau drei Wochen. Den heutigen Tag mitgerechnet.« Daran hatte ich nicht unbedingt erinnert werden wollen.
    »Heute zählt nicht. Sieh zu, daß du etwas schläfst.«
    Wir küßten uns. Sie ging. Ich drehte mich mit dem Stuhl herum und starrte auf die leere Konsole.
    Nichts war vorbei. Ich würde mir noch hundertmal umsehen müssen, wie Daniel Cavolini starb, bevor ich ihn endgültig vergessen konnte.
    Ich humpelte ins Schlafzimmer und zog mich aus. Ich hängte meine
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