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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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gar nicht bewußt gewesen, daß er sich immer noch in diesem Raum befand. Er starrte auf den Fußboden, hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte vor Wut.
    Lukowski packte mich am Ellbogen und beschmutzte mich mit synthetischem Blut. Er sprach in einer Art Bühnenflüstern, als hoffte er, daß seine Worte auf diese Weise nicht aufgezeichnet würden. »Sie können den nächsten filmen, okay? So etwas ist noch nie zuvor geschehen – niemals! – und wenn Sie der Öffentlichkeit den einzigen Ausrutscher unter einer Million zeigen, als wäre es die…«
    Der Bioethiker versuchte zu beschwichtigen. »Ich denke, die Richtlinien des Taylor-Komitees hinsichtlich möglicher Einschränkungen reichen aus, um…«
    Der Assistent der Pathologin drehte sich zornig zu hie um. »Wer hat Sie nach Ihrer Meinung gefragt? Die Verfahrensweise geht Sie überhaupt nichts an, Sie armseliges…«
    Ein Alarmsignal schrillte ohrenbetäubend los, das von irgendwo aus den elektronischen Innereien der Wiederbelebungsapparate kam. Der Assistent beugte sich über die Geräte und hämmerte auf die Tastatur ein, wie ein frustriertes Kind, das seine Wut an einem kaputten Spielzeug ausläßt, bis der Lärm aufhörte.
    In der anschließenden Stille schloß ich kurz die Augen, rief Witness auf und schaltete die Aufzeichnung ab. Ich hatte genug gesehen.
    Dann kam Daniel Cavolini wieder zu Bewußtsein und begann zu schreien.
    Ich sah zu, wie sie ihn mit Morphin vollpumpten und darauf warteten, daß die Wiederbelebungsmittel ihn endgültig töteten.

 

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2

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    Es war kurz nach fünf, als ich den Eastwood-Bahnhof verließ und zu Fuß weiterging. Der Himmel war bleich und farblos, die Venus verblaßte allmählich im Osten – aber die Straße sah schon genauso aus wie bei Tageslicht. Nur erstaunlich verlassen. Der Eisenbahnwagen war ebenfalls leer gewesen. Es war die Zeit, in der man sich wie der letzte Mensch auf Erden fühlen konnte.
    Vögel zwitscherten – recht laut – im üppigen Buschland entlang des Eisenbahnkorridors und im Labyrinth der Parkwälder, die die umgebenden Vorstädte durchzogen. Viele dieser Parks machten den Eindruck unberührter Natur, doch jeder Baum und jeder Strauch war künstlich. Die Pflanzen waren zumindest gegen Trockenheit und Feuer resistent und warfen keine unordentlichen Zweige, Blätter oder Rindenstücke ab, die sich entzünden konnten. Totes Material wurde resorbiert und wiederverwertet. Ich hatte in einer Zeitrafferaufnahme gesehen (eine filmische Technik, die ich niemals selbst anwendete), wie ein kompletter verdorrter brauner Ast sich in den lebenden Stamm zurückgezogen hatte. Die meisten Bäume erzeugten eine bescheidene Menge an Elektrizität, die hauptsächlich aus Sonnenlicht gewonnen wurde. Allerdings handelte es sich um einen komplizierten chemischen Prozeß, und die gespeicherte Energie wurde kontinuierlich über vierundzwanzig Stunden am Tag abgegeben. Spezialisierte Wurzeln verbanden sich mit den unterirdischen Supraleitern, die die Parks durchzogen, und speisten ihren Energiebeitrag ein. Zweieinviertel Volt an Elektrizität waren an sich kein Sicherheitsrisiko, doch für eine wirksame Übertragung mußte der Widerstand auf Null reduziert sein.
    Auch ein Teil der Fauna war modifiziert worden. Die Elstern verhielten sich sogar im Frühling friedlich, die Moskitos mieden das Blut von Säugetieren, und die giftigsten Schlangen konnten nicht einmal einem menschlichen Kind Schaden zufügen. Innerhalb der manipulierten Vegetation hatten sie in biochemischer Hinsicht leichte Vorteile gegenüber ihren wilden Verwandten, wodurch die Dominanz der veränderten Spezies in diesem Mikrobiotop garantiert wurden. Andererseits verhinderten gewisse Handicaps, daß sie sich in den echten Wildreservaten fern von menschlichen Ansiedlungen vermehren konnten, sollten sie jemals entkommen.
    Ich hatte eine alleinstehende Wohneinheit in einer Vierergruppe am Ende einer Sackgasse gemietet, die in einem wartungsfreien Garten lag, der nahtlos in den Ausläufer eines Parks überging. Ich wohnte dort schon seit acht Jahren, seit meinem ersten Auftrag für SeeNet, aber ich kam mir hier immer noch wie ein Eindringling vor. Eastwood lag nur fünfzehn Kilometer vom Zentrum Sydneys entfernt, was sich unverständlicherweise immer noch auf die Grundstückspreise auswirkte, obwohl im Grunde kaum jemand einen Vorteil von der Citynähe hatte. Selbst in hundert Jahren hätte ich den Kaufpreis nicht abzahlen können. Die
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