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Qual

Qual

Titel: Qual
Autoren: Greg Egan
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Kleidung ins Reinigungsgestell und schaltete den Strom ein. Die Polymere der verschiedenen Textilien stießen ihre Feuchtigkeit mit einem leichten Dunsthauch aus und verpackten dann den übrigen Schmutz und getrockneten Schweiß zu einem feinen Staub, den sie elektrostatisch abstießen. Ich sah zu, wie er in den Auffangbehälter rieselte. Er wies wie jedesmal dieselbe beunruhigende Blautönung auf – was angeblich irgend etwas mit der Größe der Teilchen zu tun hatte. Ich nahm eine schnelle Dusche und stieg dann ins Bett.
    Ich stellte den Wecker auf zwei Uhr nachmittags. Die Pharmaeinheit neben dem Wecker fragte: »Soll ich eine Melatonin-Kur vorbereiten, damit du morgen abend wieder im gewohnten Tagesrhythmus bist?«
    »Ja, meinetwegen.« Ich steckte den Daumen in die Teströhre. Der winzige Stich war kaum zu spüren, als mir Blut abgezapft wurde. Völlig schmerzfreie NMR-Modelle waren schon seit einigen Jahren im Handel, aber immer noch zu teuer für mich.
    »Möchtest du etwas, das dir beim Einschlafen hilft?«
    »Ja.«
    Die Einheit summte leise, während sie ein Sedativum zusammenmixte, das auf meine gegenwärtige biochemische Konstitution und meine beabsichtigte Schlafdauer abgestimmt war. Die Syntheseeinheit arbeitete mit programmierbaren Katalysatoren – zehn Milliarden elektronisch rekonfigurierbare Enzyme, die von einem Halbleiterchip gesteuert wurden. Aus dem Vorrat von Basismolekülen konnte der Chip innerhalb kürzester Zeit wenige Milligramm einer beliebigen von zehntausend möglichen Substanzen herstellen. Oder zumindest diejenigen, für die ich die nötige Software hatte, solange ich die anfallenden Lizenzgebühren zahlte.
    Die Maschine spuckte eine kleine Tablette aus, die immer noch ein wenig warm war. Ich biß vorsichtig hinein. »Orangengeschmack nach einer langen Nacht! Du hast es dir gemerkt!«
    Ich legte mich zurück und wartete darauf, daß das Medikament seine Wirkung entfaltete.
    Ich hatte den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen – aber seine Muskeln waren gelähmt und unkontrollierbar gewesen. Ich hatte seine Stimme gehört – aber die Luft, mit der er gesprochen hatte, war nicht seine eigene Atemluft gewesen. Ich würde niemals nachvollziehen können, was genau er empfunden hatte.
    Es war nicht ›Die Affenpfote‹ oder ›Das verräterische Herz‹.
    Es war eher ›Das vorzeitige Begräbnis‹.
    Aber ich hatte kein Recht, um Daniel Cavolini zu trauern, denn ich würde seinen Tod an die ganze Welt verkaufen.
    Und ich hatte kein Recht, Mitgefühl zu entwickeln, mir vorzustellen, ich wäre an seiner Stelle gewesen.
    Wie bereits Lukowski gesagt hatte, würde ich niemals in eine solche Situation kommen.

 

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3

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    In einem Museum hatte ich einmal eine 1950er Moviola in einer Glasvitrine gesehen. Fünfunddreißig Millimeter breites Zelluloid wurde auf verschlungenen Wegen durch das Innere der Maschine gezogen, bewegte sich vor und zurück zwischen zwei riemengetriebenen Spulen, die an vertikalen Armen hinter der kleinen Leinwand hingen. Das Summen des Motors, das Knirschen des Getriebes, das Hubschrauberrattern der Blendenflügel – alles Geräusche, die von einer Videoaufzeichnung der Maschine in Aktion kamen, die auf einem Bildschirm unter dem Schaukasten ablief – hatten eher nach einem Reißwolf als nach einem Instrument zur Filmmontage geklungen.
    Eine reizvolle Vorstellung. Es tut mir sehr leid… aber diese Szene ist unwiederbringlich verloren. Die Moviola hat sie gefressen. Natürlich war es damals üblich gewesen, mit nur einer Kopie der originalen Kameraaufnahme, zu arbeiten (zumeist mit einem Negativ), aber die Vorstellung, daß ein lockeres Zahnrad dazu führte, daß meterweise kostbares Zelluloid in Konfetti verwandelt wurde, hatte mich seitdem nicht mehr losgelassen – eine wunderbare verbotene Phantasievorstellung.
    Meine drei Jahre alte Schnittkonsole von Affine Graphics, Baujahr 2052, war nicht in der Lage, irgendetwas zu zerstören. Jede Aufnahme, die ich einspeiste, wurde auf zwei unabhängige, nur einmal beschreibbare Speicherchips gebrannt und zudem automatisch in codierter Form an Archive in Mandela, Stockholm und Toronto weitergeleitet. Jeder folgende Schnittvorgang war lediglich eine Auswahl und Neuordnung des unberührbaren Originals. Ich konnte selektiv und nach Belieben aus der Rohfassung zitieren. Ich konnte paraphrasieren, substituieren und improvisieren. Aber nicht ein einziges Bild des Originals konnte jemals unwiderruflich zerstört werden
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