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Purpurfalter

Purpurfalter

Titel: Purpurfalter
Autoren: Sandra Henke
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Gamtam die Kinder.
    „Es ist nichts.“ Loreenas Miene versteinerte. Sie blickte sich in der Küche um. Eine Magd holte einen Laib Brot aus dem Backofen. Sie klopfte auf die steinharte angebrannte Kruste und schimpfte mit sich selbst, während ein Knabe eine Zwiebel von der Anrichte stibitzte und davonlief, gejagt von einem Koch mit Oberarmen, die so dick waren wie vier Leberwürste. Wie belanglos ihre Probleme waren - im Gegensatz zu Loreenas!
    Gamtam hielt inne und schaute mit ihren milchigen Augäpfeln in Loreenas Richtung. „Das ist nicht die Wahrheit. Denk immer daran, ich lese in deinem Herzen.“
    Hatte Graf Schomul das auch getan und dort ihre schamlosen Wünsche entdeckt? Loreena betete, dass die Köchin nichts von ihren Sehnsüchten las. „Ich wünschte, Lomas wäre hier.“
    „Dein Bruder ist ein würdiger Thronfolger. Jedoch, und lausche meinen Worten gut, du birgst die gleichen Qualitäten in dir.“
    „Ich?“ Verdutzt nahm Loreena neben Gamtam am Holztisch Platz. Sie prüfte, ob die Luft rein war. Weder Köche noch Mägde waren in Hörweite. „Ich bin schwach, sonst würde ich nicht dulden, was sich in den Mauern dieser Festung abspielt.“
    Gamtam unterbrach ihre Arbeit. Sanft hieb sie mit dem Schälmessergriff auf die Tischplatte. „Loreena, du könntest Ingrimm führen, wenn du nur den Mut dazu hättest. Alle wissen, dass es König Wor schlecht geht. Du kannst nicht auf Lomas‘ Rückkehr warten! Bis dahin sind die Heere Wahnsteins und Frostlandes bereits in das Reich eingerückt.“
    Einen Moment lang überlegte Loreena, ob sie der Köchin etwas über die bevorstehenden Ereignisse erzählen sollte. Sie entschied Stillschweigen zu bewahren. Zu grausam war allein der Gedanke an Graf Schomuls geduldeter, ja sogar ausdrücklich erwünschter Anwesenheit auf Tide - und König Wors Wandlung. Nach dem Biss würde Wor vor sein Volk treten und Bericht erstatten.
    „Der Arme“, dachte Loreena und knetete den Samtumhang, „er muss seinem eigenen Volk mitteilen, dass er ein Vampir ist und Graf Schomul die Herrschaft über Ingrimm übernimmt.“
    Würde man ihn lynchen? Sie hoffte, das Volk würde zu geschwächt sein, um innerhalb der eigenen Mauern anzugreifen. Wor war immer noch König und bereit, das Reich mit seinem Leben zu verteidigen. „Hoffentlich erkennen sie, dass er sich selbst ins Unglück stürzt, um sie zu retten“, dachte sie traurig.
    Loreena stützte ihr Haupt mit den Händen ab. „Das Volk würde mich nicht auf dem Thron sehen wollen.“
    „Unsinn!“ Gamtam fuhr fort die Kartoffel zu schälen.
    Stöhnend, als wäre sie eine Greisin, erhob sich Loreena. „Nicht nach dem, was geschehen wird.“
    Noch bevor Gamtam nachfragen konnte, verließ Loreena die Küche. Im Korridor begegnete sie dem Knaben, der genüsslich in die Zwiebel biss. Kaum hatte er sie gesehen, rannte er davon.
    Schmerzhaft war der Gedanke an die kommende Nacht. Sie blieb an einem der riesigen Fenster stehen und beobachtete den Einzug der Dämmerung. Der Nieselregen saugte das Tageslicht auf. Nebelschwaden hingen über dem feuchten Gras. Der Wald Goblin sah durch die Finsternis wie ein schwarzes Loch aus, rätselhaft und bedrohlich. Der Schrei eines Uhus erklang. Wie gespenstisch, als ob der Graf bereits Einzug in Ingrimm gehalten hätte. Würde Schomul sein Wort halten? Oder planten die Vampire bereits in dieser Nacht in Küstenmark einzufallen?
    Traurig legte sie die Handflächen an die kalte Glasscheibe. „Lomas, wir brauchen dich. Ich brauche dich. Ich schaffe das nicht alleine.“ Loreena lehnte die Stirn gegen die Scheibe und schloss die Augen. „Bitte, steh uns bei, Allmächtiger. Uns steht Schlimmes bevor.“
    ~~~
    Die Nacht schien schwärzer als alle Nächte, die das Königreich Ingrimm je erlebt hatte. Nur der Schein einer fast heruntergebrannten Talgkerze, die auf der Kommode neben seinem Bett stand, schien schwach auf Wors Gesicht. Fiebrig rot waren seine Wangen, während Schweißtropfen an seinen Schläfen hinunterliefen.
    Schwer atmend lag er mit geschlossenen Augen vor Loreena, die ihre Fingernägel in den Unterarm krallte. Sie wollte nicht Zeugin des grauenhaften Wandels ihres Vaters sein, doch er hatte sie gebeten, ihm beizustehen. Seit dem Moment, als Graf Schomul das Schlafgemach betreten hatte, ging es Wor schlechter. Die Vorahnung, die schreckliche Vision der Zukunft peinigte ihn. Dennoch stand sein Entschluss fest.
    „Bringen wir es hinter uns.“ Loreena sah Schomul flehend an und
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