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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition)
Autoren: Andrea Gunschera
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Mom, es ist unvorstellbar schön.«
    Sie löste sich sanft und schüttelte den Kopf. »Ich gehöre hierher.«
    »Aber du müsstest nicht für immer dort bleiben. Nur für ein paar Stunden. Wir gehen hinüber, und kommen wieder zurück.«
    »Und dann stelle ich fest, dass ich eine junge Frau geblieben bin, während in unserer Welt fünfzig Jahre vergangen sind.« In ihrem Lächeln schwang ein Hauch Traurigkeit mit. »Du kennst doch die Geschichten vom Kleinen Volk.«
    »Aber das ist nicht das Kleine Volk, Mom. Coinneach hat dir ein Haus gekauft. Denkst du, einer vom Kleinen Volk würde dir ein Haus kaufen?«
    »Schon gut, ich ziehe ja auch hinein.« Die Lachfältchen um ihre Augen vertieften sich. »Ich weiß, dass Coinneach sich nichts sehnlicher wünscht, als mich mit sich in seine fremde Welt zu nehmen. Aber ich brauche etwas Zeit. Ich kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Ich bin kein junges Mädchen mehr.«
    »Du bist nicht alt, Mom. Du siehst toll aus.«
    »Jetzt hör auf, deiner Mutter zu schmeicheln.« Sie fuhr ihm durchs Haar. »Sieh mal, dein Vater und ich, wir hatten eine wunderbare Romanze, und ich konnte ihn niemals vergessen, doch das ist zwanzig Jahre her. Wir haben uns beide verändert. Wir müssen erst wieder lernen, miteinander umzugehen.«
    »Mom –« Seine Wangen begannen zu glühen.
    »Außerdem kann ich Marty nicht einfach von der Schule nehmen. Und du machst in zwei Monaten deinen Highschool-Abschluss. Bis dahin muss sich doch jemand um dich kümmern. Oder willst du ins alte Depot ziehen, während deine Mutter sich mit ihrem Liebhaber in fremden Welten vergnügt?«
    Okay, er hatte mit dem Gedanken gespielt. Es verunsicherte ihn allerdings, dass Mom so gut über seinen Unterschlupf Bescheid wusste.
    »Aber wenn du schon mal hier bist, kannst du die Mülltonnen auf die Straße rausfahren. Die quellen über.«
    »Klar, Mom.« Er wandte sich ab und kühlte sich beim Herausgehen das Gesicht mit den Händen. Die Vorstellung, dass Mom ein Liebesleben hatte und mit Coinneach das anstellte, was er gern mit Marielle anstellen wollte, verunsicherte ihn zutiefst. Obwohl er es ihr von Herzen gönnte.
    Kurz vor der Tür stieß er mit dem Fuß gegen ein Spielzeug. Eine von Martys Transformer-Actionfiguren. Der Kopf war abgebrochen. Er bückte sich danach und fing Moms Blick auf, als er sich wieder aufrichtete. Ihre Lippen zuckten ein wenig. »Du musst Nachsicht mit deinem kleinen Bruder haben. Es ist nicht so leicht für ihn.«
    »Hat er sich wieder aufgeführt?«
    »Heute früh, als ich ihn zur Schule gefahren habe.« Sie nahm Ken die Stücke des zerbrochenen Spielzeugs aus der Hand. Ihre papiertrockenen Finger strichen über seinen Handrücken. »Nimm es ihm nicht übel. Er kommt darüber hinweg. Er braucht nur etwas Zeit.«
    »Ja, Mom«, murmelte er. »Klar.«
    Sie legte die Plastikscherben auf die Flurkommode und berührte ihn an der Wange. »Wir schaffen das, okay? Mach dir keine Sorgen.«
    Er rang sich ein Lächeln ab. Dann trat er auf den Hof, packte die beiden Tonnen und zog sie hinter sich her zur Straße. Marty, der kleine Idiot, benahm sich, als wollte er in Dads und Pats Fußstapfen treten. Seine Trotzanfälle wechselten sich ab mit Ausbrüchen sinnloser Wut. Die Verhaftung des Säufers hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht.
    »Mom?« Er wischte sich die Hände an den Jeans ab. »Brauchst du noch was? Sonst gehe ich kurz rüber ins Depot.«
    »Geh ruhig!«, drang ihre Stimme aus dem Flur. Porzellan klapperte.
    Ken ließ sich Zeit mit dem kurzen Stück die Straße hinunter und folgte dann dem Trampelpfad über die Wiese des Roosevelt Parks. Das Gras grünte wie alles andere in der Frühlingssonne. Leise Wehmut überkam ihn bei dem Gedanken, dass er den Weg nicht mehr oft gehen würde.
    Es fühlte sich seltsam an, das Depot zu betreten, nach allem, was geschehen war. Seit Randalls Verhaftung hatte er es nicht geschafft, sein Versteck aufzusuchen. Die Abende mit Mom zu verbringen, ohne dass der Säufer den Frieden bedrohte, erschien ihm so kostbar, dass er keinen Moment davon verpassen wollte. Selbst mit Marty, dem kleinen Terroristen.
    Nur einmal war er gekommen, um sein Fahrrad zu holen, das er angekettet vor dem Café zurückgelassen hatte. Doch da war er nicht zum Penthouse hochgeklettert.
    Er stieg die Stufen zu den Türen empor und blieb in der dämmrigen Halle stehen. Nichts hatte sich verändert. Ein paar dunkle Flecken auf den Steinfliesen waren alles, was vom Kampf zwischen
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