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Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln

Titel: Purpur ist die Freiheit 01 - Das Leuchten der Purpurinseln
Autoren: Doris Cramer
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Kindbett starb. Seit damals kümmerte sie sich um das Mädchen und stand zugleich dem Hauswesen vor. Man hatte den Kindern, kaum dass sie verständig genug waren, erklärt, sie sei ihre Muhme, und irgendwann nannten alle sie so, obwohl sie keine Blutsverwandte war. Mirijams Mutter Lea wiederum, Andrees van de Meulens zweite Frau, starb an den Pocken, als Mirijam knapp zwei Jahre alt war. Damals hatte sich Gesa ebenfalls vorbildlich und liebevoll um das zweite Töchterchen des Witwers gekümmert. Niemand, nicht einmal eine leibliche Mutter, hätte besser für die kleinen Mädchen sorgen können, das sagten alle in der Stadt. Lange war Lucia ihr erklärter Liebling gewesen, doch mit den Jahren hatte sich auch die eigensinnige Mirijam tief in ihrem Herzen eingenistet.
    Die Schwestern hätten nicht unterschiedlicher sein können. War an Lucia alles weich und hell und rund, so war dasselbe bei Mirijam dunkel, dünn und eckig. Lucia plauderte und lachte gern, während Mirijam lieber zuhörte, beobachtete und sich ihre Gedanken machte. Lucias Haut schimmerte wie Sahne, ihre blonden Flechten leuchteten, und ihre Augen hatten die sanfte Farbe des Himmels über der Schelde. Mirijams bernsteinfarbene Augen hingegen konnten brennen und Blitze versenden, wenn sie sich ärgerte oder ungerecht behandelt fühlte. Sie konnten sich sogar verdunkeln und vor Angst oder Aufregung weiten wie die einer Katze. Ihre wilden Locken mussten in feste Zöpfe gezwungen werden, dennoch stahlen sich immer wieder einige widerspenstige, tiefschwarze Strähnen hervor. Zu ihrem Leidwesen hatte Mirijam nicht nur die Haare, sondern auch die Haut ihrer mütterlichen Vorfahren geerbt, die rasch bräunte wie die eines Bauernmädchens. Bei einem Jungen hätte das vielleicht ganz gut ausgesehen, dachte sie manchmal, Lucias vornehme Blässe gefiel ihr jedoch besser.
    Die alte Gesa schob eine von Mirijams vorwitzigen Locken wieder unter die weiße Kappe, ein Handgriff, den sie sicher schon tausendmal oder öfter getan hatte. Dann nahm sie das nächste Kleidungsstück zur Hand, faltete es und legte es sorgfältig in Lucias Truhe.
    » Ach, wenn doch wenigstens du mit uns reisen könntest, gute alte Gesa!«, rief Lucia in diesem Moment und sprach damit aus, was alle drei dachten.
    Wortlos nahm Gesa beide Mädchen in ihre Arme und drückte sie einen Moment fest an sich. Ihr Atem ging schwer, und als sie einen Kuss auf Lucias Haar drückte, schnaufte sie hörbar. Sie würde hierbleiben. Mirijam drängte sich näher an Gesa und sog ihren Duft ein.
    Alle würden hierbleiben, nicht nur Muhme Gesa. Auch die Diener und Lagerarbeiter, die Kontoristen, alle Vertrauten und Freunde blieben, selbst Cornelisz. Cornelisz, ihr Freund seit Kindesbeinen, der demnächst bei Vater Andrees das Handwerk des Kaufmanns lernen sollte, obwohl er sich viel lieber mit Farben und Malerei beschäftigt hätte. Cornelisz, der nachdenkliche Grübler mit seinem Goldhaar und seinem Grübchen am Kinn, Cornelisz, ihr Prinz …
    » Schon fertig mit Packen?«, fragte Lucia und riss sie aus ihren Gedanken.
    » Ich will nicht! Ich will nicht weg!«, murmelte Mirijam. Nur mit größter Mühe hielt sie die Tränen zurück. Stattdessen ballte sie die Fäuste, dass die Nägel sich ins Fleisch bohrten.
    Plötzlich kam ihr ein Gedanke. Rasch setzte sie sich an den Tisch, öffnete das Tintenfass und griff nach einem Blatt Papier. Diese vertrauten Handgriffe milderten ein wenig den Druck, der auf ihrer Brust lastete und das Atmen beinahe unmöglich machte.
    » Es ist ja nicht für immer. Irgendwann, vermutlich schon bald, werdet ihr mit euren Ehemännern wiederkommen und mir eure eigenen Kinder vorstellen«, tröstete Muhme Gesa. » Mit Gottes Hilfe dauert es nicht lange.«
    Doch Mirijam hörte nur mit halbem Ohr zu, denn beim Stichwort Ehemänner war ihr siedend heiß eingefallen, dass Cornelisz keine Ahnung von ihrer Abreise hatte. Wo hatte sie nur ihren Kopf? Sie musste ihn dringend von dem bevorstehenden Aufbruch verständigen! Die Zeit, bis die Schiffe ausliefen, war knapp, aber ohne Abschied konnte sie nicht von ihm fort. Hastig warf sie ein paar Zeilen hin, beschrieb mit wenigen Worten die Lage, setzte ihren Namen darunter und faltete das Papier. Dann rannte sie die Treppe hinunter, um sofort einen Boten mit dem Brief loszuschicken.
    Als sie in die Kammer zurückkam, hielt Gesa ein schmales Päckchen in den Händen. Es war sorgfältig in mehrere Lagen feines Kalbsleder eingeschlagen und mit einer festen
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