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Puppentod

Titel: Puppentod
Autoren: Katharina Winter
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wenn wir uns nicht sehen«, sagte sie leise und mit einem Augenaufschlag, der ihn verwirrte.
    Er hätte sie jetzt am liebsten geküsst, fand aber wieder nicht den Mut dazu.

    So verging der Abend wie im Flug, und es gelang ihm lediglich, den Arm um ihre Schultern zu legen, während er sie nach Hause brachte.
    Ihr gemietetes Zimmer befand sich nur wenige Schritte von Margeritas Lokal entfernt, im ersten Stock eines Holzhauses, das keinen sehr komfortablen Eindruck machte.
    »Das täuscht, es ist wirklich sehr luxuriös«, sagte Lisa und erzählte mit einem Augenzwinkern, dass es sogar ein richtiges Badezimmer gab. Allerdings mit einer kleinen Einschränkung, denn sie musste es sich mit ihrem Nachbarn teilen.
    Der Nachbar bewohnte die andere Seite des oberen Stockwerks, und Michael lernte ihn auch sofort kennen. Er kam gerade aus seiner Wohnung.
    »Guten Abend, Yoshitoki«, rief Lisa ihm zu und knipste die spärliche Beleuchtung an. Eine Glühbirne, die an einem Draht baumelte. Der kleine Asiate lief flink die Treppe herunter, machte vor Lisa eine kurze Verbeugung und ebenso vor Michael. Danach trippelte er mit einer Schüssel unterm Arm eilig davon.
    »Er holt sich bei Margerita seinen Fisch«, erklärte Lisa.
    »Um diese Zeit isst er erst zu Abend?«, fragte Michael erstaunt.
    Sie lachte. »Er holt sich sein Frühstück. Er ist Japaner.«
    Michael runzelte die Stirn. Mit diesem Herrn Yoshitoki, der zum Frühstück Fisch aß, teilte sich Lisa das Badezimmer? Dieser Gedanke gefiel ihm ganz und gar nicht.

    »Mach’s gut«, sagte sie plötzlich und ging ein paar Schritte rückwärts in Richtung Treppe. Der Augenblick des Abschieds war gekommen.
    »Gib mir wenigstens deine Telefonnummer«, rief Michael verzweifelt. »Hast du ein Handy? Kann ich dich irgendwie erreichen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Aber ich will dich anrufen. Und wenn du nach Deutschland kommst, will ich dich wiedersehen …«
    Sie schüttelte erneut den Kopf und stieg wortlos die Stufen hinauf. Nur ein einziges Mal drehte sie sich noch um. In dem matten Lichtschein sah er ihr Gesicht. Ein Träger ihres Kleides war verrutscht. Sie schob ihn langsam wieder nach oben, hauchte ihm über ihre Hand hinweg einen Kuss zu und verschwand in ihrem Zimmer.

4
    Michael konnte Lisa einfach nicht vergessen. Unentwegt schwirrte sie ihm im Kopf herum, lief in ihrem kurzen, roten Kleid barfuß durch den Sand, stieg im nassen T-Shirt aus dem Wasser und hauchte ihm, auf der Treppe stehend, einen Kuss zu.
    Dieser Kuss beschäftigte ihn rund um die Uhr und brachte ihn fast um den Verstand.
    Sie hatte sich auch in ihn verliebt, dessen war er sich ganz sicher. Aber warum wollte sie ihn nicht wiedersehen? Aus Vernunftgründen? Weil sie in die Karibik auswandern wollte?

    So konsequent konnten nur Frauen sein.
    Männer waren da ganz anders. Wenn Männer sich verliebten, zählten solche Dinge nicht. Dann wollten sie der Frau ihrer Träume einfach nur wiederbegegnen. Und genau darauf würde es Michael anlegen. Ob es Lisa nun passte oder nicht. Leider konnte er in dieser Ausnahmesituation, in diesem Zustand schlimmster Verliebtheit, keine Rücksicht auf ihre Zurückhaltung nehmen. Außerdem fragte er sich seit Tagen, was ihn abgehalten hatte, sie zu küssen. Schon allein um das nachzuholen, musste er sie treffen. Er musste sie sehen und hatte deshalb beschlossen, sie vom Flughafen abzuholen, denn heute war Freitag, der Tag, an dem sie nach Deutschland kommen würde. Zumindest hatte sie ihm das erzählt.
    Seitdem ihm gestern Abend diese grandiose Idee gekommen war, sah er Lisa unentwegt im Geiste aus der Gepäckabfertigungshalle treten und bei seinem Anblick glücklich lächeln. Vor Aufregung hatte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Müde war er jetzt aber keineswegs. Im Gegenteil, er fühlte sich, als hätte er ein Aufputschmittel genommen. Zum hundertsten Mal blickte er an diesem Vormittag zu der metallisch schimmernden Wanduhr, die zu der zweckmäßigen Einrichtung des Sekretariats gehörte. Dieser Raum war das Reich von Frau Meierhöfer. Rechts davon lag das Büro seines Vaters, links davon sein eigenes.
    Frau Meierhöfer, die gerade am Telefon versuchte, ihrer am Flughafen arbeitenden Schwägerin zu entlocken, in welcher Maschine Lisa sitzen könnte, warf Michael einen strengen Blick über den Rand ihrer großen
Brille zu. Er wusste, dass es sie nervös machte, wenn er ständig mit seinen Fingern auf der Schreibtischplatte herumtrommelte. Doch er konnte seine Finger nicht
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