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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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immer auch den Menschen. Hier und heute jedoch fiel ihm das schwer. Die Frau, die mit Drähten fixiert auf einem Stuhl vor ihm in der Kiste saß, war ihrer Menschlichkeit beraubt. Die gewalttätige Degradierung des Opfers zu einer Art Ausstellungsstück erweckte Abscheu in ihm. Er spürte, wie immer, wenn er vor einem Verbrechen stand, das Aufsteigen eines grimmigen Jagdinstinkts. Es begann stets mit einer gewissen Mattigkeit, als würde er vor der Krankheit der Welt kapitulieren müssen und steigerte sich dann in ein heißkaltes Fieber, in dem er keine Ruhe fand, bis er die Krankheit besiegt hatte. Bis zum nächsten Ausbruch.
    Herd, Volker und Karen hielten sich abseits. Sie kannten Christian. Nicht so Ali. In dem Bemühen, keine Zeit zu verlieren und erste Punkte bei dem neuen Boss zu sammeln, stellte er sich neben ihn und fasste ihm präzise die bisherigen Erkenntnisse zusammen: die Aussagen von Kalle und Chico, die Auffindesituation, die Aussage des Lieferanten …
    Christian würdigte Ali zuerst keines Blickes und versuchte, seine Konzentration bei der Leiche zu halten. Nachdem Ali ihn jedoch zwei Minuten mit verbalem Sperrfeuer belegt hatte, wandte Christian sich nach ihm um: »Halt endlich die Klappe. Ich arbeite.«
    Christian wusste, dass er sich unkollegial verhielt. Seine Truppe würde mit den Berlinern mehr oder weniger Hand in Hand arbeiten müssen, und der junge Beamte hatte mit den besten Absichten gehandelt. Doch das war Christian jetzt egal. Für den ersten Kontakt mit einem Verbrechen brauchte er seine Ruhe, da interessierten ihn die Befindlichkeiten eines Kollegen herzlich wenig. Deswegen hatte er bei vielen Polizisten in Hamburg und darüber hinaus den Ruf eines arroganten Arschlochs. Nicht ganz zu Unrecht.
    Beleidigt wich Ali ein paar Meter zurück und stellte sich zu Striebeck und den anderen.
    »Christian hasst es, wenn man ihn bei der ersten Tuchfühlung stört. Aber das kannst du ja nicht wissen«, meinte Herd zu Ali.
    Ali warf Striebeck einen wütenden Blick zu. Striebeck grinste nur.
    Nach wenigen stillen Minuten kam Christian zurück zu seinen Leuten und nickte ihnen zu. Herd, Volker und Karen begannen mit ihrer Arbeit. Herd fotografierte und vollzog die bisherige Arbeit der Berliner Spurensicherung nach, denn er wusste, dass Christian sich ungern auf andere verließ. Auch das wirkte unkollegial auf Striebecks Team, das sich überprüft und gegängelt fühlte. Herd versuchte, die Berliner so gut es ging einzubinden und die Situation, die ihm aus anderen Städten nur allzu bekannt war, mit einigen Scherzen zu entschärfen. Es gelang ihm nicht vollständig. Volker ging mit Ali die Notizen der ersten Zeugenvernehmungen durch und wählte aus, welche zu einer zweiten Befragung ins Präsidium gebeten werden sollten. Karen besah sich die Leiche, bevor sie zur Obduktion abtransportiert wurde.
    Striebeck reichte Christian ein Paar Handschuhe und die Beweismittelsicherungstüte, in der die Nachricht verpackt war.
    »Weißt du, ob die in München eine ähnliche Botschaft bekommen haben?«, fragte Christian.
    Striebeck nickte. »Ich kenne aber nicht den Wortlaut. Ich habe noch nicht mit den Kollegen dort gesprochen. Wollte dir Strategie und Zeitpunkt überlassen.«
    Christian winkte Volker zu sich heran. »Wir zwei, auf nach München. Karen bleibt hier für die Obduktion. Wenn sie fertig ist und ein paar Stunden geschlafen hat, kommt sie auch nach München, um sich die Leiche dort anzusehen. Falls sie glaubt, dass sich das lohnt. Die Entscheidung liegt bei Karen. Herd bleibt ebenfalls hier, der Tatort in München ist kalt.«
    »Deswegen wundere ich mich, dass du überhaupt hinwillst«, warf Striebeck ein. »Was soll das bringen?«
    Christian zuckte mit den Schultern: »Vermutlich nichts. Man wird sehen. Ich verschaffe mir gerne einen persönlichen Eindruck.« Er wandte sich an Ali: »Kümmere dich bitte um die Tickets für Volker und mich. Volker sagt dir Genaueres.«
    »Bin ich eure Sekretärin?«, gab Ali empört zurück.
    »Sekretärin?« Christian zog nur die Augenbrauen hoch, wandte sich ab und überwachte mit Karen den Abtransport der Kiste.
    Volker grinste Ali an: »Vorauszusetzen, dass ein Mensch, der Sekretariats- oder Assistenzaufgaben übernimmt, auf jeden Fall weiblich zu sein hat, ist sexistisch und frauenfeindlich. Wir aber sind eine Truppe, die Frauen liebt und verehrt. Nun zum Business: Ich fliege morgen früh mit der ersten Maschine nach München, brauche also hier in Berlin ein Hotel,
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