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Puppenspiele

Puppenspiele

Titel: Puppenspiele
Autoren: Marina Heib
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um ein paar Stunden zu schlafen. Christian nimmt den nächsten Nachtzug, braucht also ein Schlafabteil. Kleiner Tipp: Frag ihn nicht, warum er nicht fliegen will.«
    Damit wandte sich auch Volker von Ali ab und ging seiner Arbeit nach. Ali blickte ihm wütend hinterher. Er wusste jetzt, dass er nicht zu Beyers Truppe gehören würde.

München.
    Die einzige City Night Line zwischen Berlin und München war schon um zwanzig nach zehn Uhr abends losgefahren. Da hatte Christian sich gerade die Leiche angesehen. Also saß er statt in einem Schlafwagen in einem normalen ICE und versuchte, seine knapp ein Meter neunzig so gut es ging auf dem Sitzplatz in der ersten Klasse zu verstauen und ein wenig Schlaf zu finden. Es gelang ihm leidlich. Er wurde alle anderthalb Stunden wach und dachte voller Neid an Volker, Herd und Karen, die in weichen Berliner Hotelbetten schlummerten. Christian verfluchte seine Flugangst. Doch wenn er sich vorstellte, am nächsten Morgen in einen dieser fliegenden Särge steigen zu müssen, versöhnte er sich mit seiner Entscheidung für die Bahn. Und schlief eine weitere Stunde.
    Als der Zug nach einer gefühlten Ewigkeit in München eintraf, taten Christian alle Knochen weh, und sein Nacken spannte schmerzhaft. Seine Laune war auf dem Nullpunkt. Das einzig Erfreuliche war eine SMS von Anna, die ihn liebevoll informierte, nach einem ruhigen Flug gut in Washington gelandet zu sein. Sie arbeitete immer noch subtil daran, seine Flugangst zu beschwichtigen. Wie oft hatte sie schon versucht, ihn zu einem dieser »Wir erklären euch wie ein Flugzeug funktioniert, und – schwupps! – ist die Angst verflogen«-Kurse bei der Lufthansa zu überreden. Doch Christian zeigte sich stur. Für ihn waren diese Kurse nichts als Gehirnwäsche durch Industrie -Schamanen, die nur eins zum Ziel hatten: ihm etwas auszureden, was er für äußerst vernünftig und höchst natürlich hielt. Der Mensch war nicht zum Fliegen geschaffen, sonst hätte die Natur ihm Flügel gegeben. Annas Argument, dass nach dieser Logik der Mensch auch nicht zum Fahren geschaffen war, sonst hätte er Räder und womöglich eine Gangschaltung, wischte der begeisterte Fahrradfahrer Christian als spitzfindig vom Tisch. Seitdem ließen sie das Thema.
    Christian verließ innerlich und äußerlich zerknittert den Zug und setzte sich in das Bahnhofscafé, in dem er sich mit Volker verabredet hatte. Volker würde in etwa einer halben Stunde mit der S8 vom Flughafen am Hauptbahnhof eintreffen. Der Kaffee schmeckte nach Spülmittel mit Bitterstoffen und hob Christians Laune keineswegs. So war er denn auch extrem ungehalten, als Volker mit erheblicher Verspätung auftauchte.
    »Hast du noch ’ne Stewardess gepoppt?«, knurrte Christian.
    »Drei.« Volker ließ sich niemals aus der Ruhe bringen.
    Übermüdet verzichtete Christian auf weitere Unhöflichkeiten und zahlte sein Spülwasser. Mit einem Taxi fuhren sie zum Polizeipräsidium in der Ettstraße. So wenig wie Christian gestern einen Blick für das Brandenburger Tor im Abendrot gehabt hatte, so wenig interessierte ihn nun die nahe gelegene Frauenkirche im Licht der Morgensonne.
    Sie wurden von Hauptkommissar Udo Zeiner empfangen, einem etwa sechzigjährigen Mann mit schütterem Haar, gedrungenem Körper und feinen roten Verästelungen auf den Nasenflügeln. Zeiner begrüßte seine Gäste knapp und bot ihnen Platz an. »Ihr interessiert euch für den Fall bei Zirkus Krone im April? Mein Kollege, mit dem ihr telefoniert habt, meinte, letzte Nacht wäre in Berlin eine ähnliche Leiche aufgetaucht.«
    Volker griff in seine Laptoptasche und zog einen USB-Stick hervor, den er Zeiner reichte: »Hier sind Fotos vom Fundort und von der Leiche sowie die erste Zusammenfassung der bisher bekannten Fakten.«
    Zeiner überflog das Material und nickte. »Sieht in der Tat so aus, als suchten wir den Gleichen.« Er klickte ein paarmal auf der Tastatur seines Laptops herum und drehte den Bildschirm so, dass seine Besucher daraufsehen konnten. Die Leiche einer Frau, etwa Mitte zwanzig, stand in einer großen Holzkiste. Sie war nackt, weiß geschminkt und völlig haarlos. In der Herzgegend befand sich eine schlecht zusammengenähte Narbe. Ihre Glieder waren mit Drähten an den Innenseiten der Kiste fixiert, sodass sie nicht umkippen oder beim Bewegen der Kiste herausfallen konnte. Ihr linker Arm war ebenfalls mit Draht in eine erhobene, angewinkelte Stellung gebracht worden. In der Hand hielt sie einen kleinen Spiegel.
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