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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath
Autoren: Keith Ablow
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mit einem Kranz aus weißem Haar und Altersflecken auf seiner Kopfhaut. Er trug eine Halbbrille, einen schlichten, grauen Anzug, ein blassgelbes Hemd und eine blau gestreifte Krawatte. Sein Büro war mit dem üblichen Zierrat seiner Zunft ausgestattet – ein edler Orientteppich, gerahmte Diplome von der University of Pennsylvania und der Rochester Medical School, eine Analytikercouch, Dutzende winziger primitiver Figuren, die an Freuds Sammlung erinnerten. Er sah hoch. »Hatten Sie eine angenehme Fahrt?«
    »So angenehm, wie man es sich nur wünschen kann«, sagte Jonah.
    »Ausgezeichnet.« Ellison spähte über den Rand seiner Brille hinweg. »In Ihrem Lebenslauf steht, Sie seien in Miami zu Hause. Sind Sie von dort gekommen?«
    »Ich habe den letzten Monat über im Bundesstaat New York gearbeitet. In der Nähe des Erie-Kanals. Im St. Augustine’s Medical Center.«
    Ellison lächelte. »Ich finde es erstaunlich, dass Sie den Strand gegen die Berge eintauschen.«
    »Ich wandere gern«, sagte Jonah
      »Das erklärt es natürlich. Ich habe ein halbes Dutzend Personalvermittlungen abgeklappert, dass sie mir eine Vertretung für die Kinderpsychiatrie schicken – seit unser Dr. Wyatt in den Ruhestand gegangen ist.«
    »Es gibt nicht mehr viele, die als reine Vertretungsärzte arbeiten«, sagte Jonah.
    »Wieso das?«, fragte Ellison.
    »Immer weniger Medizinstudenten machen die Fachausbildung zum Psychiater. Die Gehälter fürs Krankenhauspersonal steigen. Man kann inzwischen auf einer festen Stelle genauso viel Geld verdienen wie als Vertretung.«
    Ellison schmunzelte sarkastisch. »Zwanzigtausend pro Monat?«
    »Sechzehn, siebzehn, zusätzliche Leistungen eingeschlossen«, sagte Jonah. »Innerhalb der letzten zwei Jahre haben zwei Drittel der Psychiater bei Medflex feste Anstellungen in einem der Krankenhäuser, in denen sie eingesetzt waren, angenommen.«
    Ellison zwinkerte. »Darüber lässt sich reden. Ich habe mir Ihre Empfehlungsschreiben angesehen. So etwas ist mir noch nie untergekommen. Dr. Blake nennt Sie den ›besten Psychiater, mit dem ich je zusammengearbeitet habe‹. Wie es sich trifft, war ich Assistenzarzt unter Dan Blake, als er noch in Harvard gelehrt hat. Er ist kein Mann, der unverdientes Lob austeilt.«
    »Danke«, sagte Jonah. »Aber ich würde unruhig werden, wenn ich nicht in Bewegung bliebe.«
    »Vielleicht könnten wir Sie überreden, länger als sechs Wochen zu bleiben.«
    »Das tue ich nie«, erklärte Jonah. Das war seine eiserne Regel. Sechs Wochen Maximum, dann zog er weiter. Länger als sechs Wochen, und die Leute wollten dich näher kennen lernen. Sie fingen an, sich zu nah heranzupirschen.
    »Wie ich Ihren Unterlagen entnehme, haben Sie keine Familie«, sagte Ellison.
    »Nein.« Jonah ließ das Wort im Raum stehen, genoss den scharfen Klang und war froh, so nachdrücklich antworten zu können. Denn er hatte nicht nur seine Frau und seine Kinder verlassen. Er hatte sich völlig von seiner Familie losgesagt,hatte alle Verbindungen zu Verwandten und Kindheitsfreunden gekappt, hatte sich entwurzelt, war mutterseelenallein auf diesem Planeten. Er deutete mit einem Nicken auf ein Schwarzweißfoto im Silberrahmen auf Ellisons Schreibtisch. Zwei Kinder lachten auf einer Schaukel, während eine attraktive Frau mit windzerzausten Haaren ihnen Schwung gab. »Ihre?«, fragte er.
    Ellison sah auf das Foto. »Ja«, sagte er, und sein Tonfall verriet eine Mischung aus Stolz und Melancholie. »Sie sind inzwischen erwachsen. Conrad schließt gerade seine chirurgische Assistenz an der UCLA ab. Jessica arbeitet hier in der Stadt als Anwältin für Immobilienrecht. Es sind gute Kinder. Ich kann mich glücklich schätzen.«
    Ellison hatte die Frau auf dem Foto nicht erwähnt. Jonah vermutete in ihr die Quelle für die Traurigkeit in seiner Stimme, eine Traurigkeit, von der Jonah unwiderstehlich angezogen wurde. »Ist das Ihre Frau?«, fragte er.
    Ellison sah von dem Bild hoch. »Elisabeth. Ja.« Eine Pause. »Sie ist verschieden.«
    »Das tut mir Leid«, sagte Jonah. Er ahnte, dass Ellisons emotionale Wunde noch immer blutete. »Erst kürzlich?«
    »Vor nicht ganz einem Jahr.« Er kniff seine Lippen zusammen. »Mir kommt es wie gestern vor.«
    »Ich verstehe das«, sagte Jonah.
    »Die Leute behaupten das«, sagte Ellison, »aber die Frau, die man liebt, zu überleben ... das ist etwas, das man wohl selbst durchmachen muss, um es zu verstehen. Ich würde das nicht meinem schlimmsten Feind
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