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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath
Autoren: Keith Ablow
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gelegenen Panther Mountain zum Wandern gewesen. »Kein Problem«, sagte er. »Ich male Ihnen schnell eine Wegbeschreibung auf.« Er hatte das Wort malen gewählt, um das Bild von Unschuld heraufzubeschwören, vom harmlosen Kind im Manne, das kaum schreiben konnte, von planen und lügen ganz zu schweigen.
    »Das wäre wirklich nett«, bedankte sie sich.
    Jonah schätzte, dass er ihre Verteidigungsmechanismen hinlänglich lahm gelegt hatte, um zum Angriff übergehen zu können. Der Durchschnittsfrau mangelte es an innerer Entschlossenheit, ihre Grenzen zu verteidigen, außer im Angesicht offensichtlicher Gefahr. Und diese Frau konnte sich nicht vorstellen, dass von ihm Gefahr drohte. Er sah gut aus und war höflich. Er wirkte wohlhabend. Er war Arzt. Er war von einem örtlichen Krankenhaus angerufen worden, um jemandem in Not zu helfen. Einer Frau in Not. Jetzt wollte er ihr helfen.
    Er ging vorn um den Saab herum und schlang dabei die Arme um sich. Hinter dem Auto herumzugehen, das Sichtfeld der Frau zu verlassen, könnte sie argwöhnisch machen. Er wartete neben der Beifahrertür, bewegte sich nicht darauf zu. Je weniger offensichtlich seine Forderung, eingelassen zu werden, desto besser standen seine Chancen.
    Sie schien abermals zu zögern, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich deutlich der klassische Kampf zwischen dem Selbsterhaltungstrieb und dem Verlangen nach Selbstständigkeit. Die Selbstständigkeit trug den Sieg davon. Die Frau langte über den Beifahrersitz hinweg und öffnete die Tür.Jonah stieg ein. Er streckte ihr seine Hand hin. Die Hand zitterte. »Jonah Wrens«, sagte er. »Es müssen da draußen minus zehn Grad sein, zumindest fühlt es sich mit dem eisigen Wind so an.«
    »Anna«, sagte sie und schüttelte seine Hand. »Anna Beckwith.« Sie schien verwirrt, als sie Jonahs Hand losließ, vermutlich, weil sie warm und klamm gewesen war, nicht kalt.
    »Haben Sie Papier und einen Stift, Anna Beckwith?«, fragte Jonah. Ihren Namen auszusprechen bestärkte den Eindruck, dass sie einander nicht fremd waren.
    Beckwith langte hinter Jonahs Sitz und wühlte in ihrer Handtasche, bis sie einen Kugelschreiber und ein ledernes Adressbuch fand. Sie schlug eine leere Seite auf und reichte ihm das aufgeklappte Buch und den Stift.
    Jonah bemerkte, dass Beckwith weder Verlobungs- noch Ehering trug. Sie roch nicht nach Parfüm. Er begann, willkürliche Wegbeschreibungen zu notieren, nach Nirgendwo. Bleiben Sie auf der 90 East bis Ausfahrt 54, dort wechseln Sie auf die Route 9 West . .. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie nicht aus dieser Gegend sind?«, erkundigte er sich.
    Sie schüttelte den Kopf. »Washington, D. C.«
    »Sind Sie zum Skilaufen hier?«, fragte er, ohne mit dem Schreiben innezuhalten.
    »Nein«, sagte sie.
    »Zum Wandern?«
    »Ich besuche nur jemanden.«
    »Wie schön.« Er warf ihr einen Blick zu. »Ihren Freund?«, fragte er in beiläufigem Tonfall und schrieb weiter.
    »Meine Zimmergenossin vom College.«
    Kein Freund, dachte Jonah bei sich. Kein Ehering. Kein Parfüm. Kein Lippenstift. Und nicht die geringste Andeutung von Homosexualität in ihrem Gebaren oder Tonfall. »Lassen Sie mich raten ...«, sagte er. »Mount Holyoke.«
    »Wie kommen Sie darauf, dass ich auf ein Frauencollege gegangen bin?«, fragte Beckwith.
    Jonah sah sie an. »Ich habe den Mount-Holyoke-Aufkleber an Ihrem Rückfenster gesehen, als ich auf den Rastplatz gefahren bin.«
    Wieder lachte sie – ein ungezwungenes Lachen, das zeigte, dass sich auch ihre letzten Befürchtungen verflüchtigt hatten. »Jahrgang ‘78.«
    Jonah überschlug es im Stillen. Beckwith war fünfundvierzig oder sechsundvierzig. Er hätte sie fragen können, was sie in Holyoke studiert hatte oder ob das College in der Nähe ihres Heimatorts war oder weit davon entfernt. Doch die Antworten auf diese Fragen würden ihm keinen Zugriff auf ihre Seele erlauben. »Warum ein Frauencollege?«, fragte er stattdessen.
    »Keine Ahnung«, antwortete sie.
    »Sie haben es sich ausgesucht«, ließ er nicht locker und lächelte sie freundlich an, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen.
    »Ich habe mich dort einfach wohler gefühlt.«
    Ich habe mich dort einfach wohler gefühlt. Jonah stand an der Schwelle zu Beckwiths innerster emotionaler Welt. Er musste Zeit gewinnen, um sie zu überschreiten. »Kennen Sie die Route 28?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Beckwith.
    »Kein Problem«, versicherte Jonah. »Ich, ähm, male alles genau auf ... für Sie.« Willkürlich
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