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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath
Autoren: Keith Ablow
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dass Sie sich bei Ihnen mehr zurückhalten werden.«
    »Nur immer zu«, sagte Jonah. »Ich betrachte es als Initiationsritual.«
    Der zu den Seiten hin ansteigende Hörsaal des kleinen Canaan Memorial Hospital war augenscheinlich jüngst renoviert worden, mit neuem, dunkelgrauem Teppichboden, rund zweihundert bequem gepolsterten, perlgrauen Klappsitzen und einer Phalanx von Wandleuchten, die ein sanftes Licht auf die zartrosa Wände warfen, an denen hier und dort Drucke von friedlichen Landschaftsszenen hingen. Verschneite Kiefern. Schäfchenwolken. Ein vereistes Bächlein.
    Während Jonah mit Craig Ellison eintrat, schlenderten aus allen Richtungen Männer und Frauen herbei. Ein Rednerpult und ein heller Eichentisch befanden sich vorne im Saal. Hinter dem Tisch standen zwei Polstersessel mit hohen Lehnen einander gegenüber.
    Jonah war schon in Dutzenden von Hörsälen wie diesem gewesen, und alles an ihnen zielte ebenso wie Jonah mit seiner Kleidung, seinem Verhalten, seiner Wortwahl darauf ab, Leute anzusprechen und zu beruhigen, damit sie im Gefühl größtmöglicher Sicherheit ihre dunkelsten Gedanken verrieten. Die Dämonen, die im Inneren von Leuten lauerten – jene grotesk entstellten Kloakenbewohner des Verstandes, die von dem unaussprechlichen emotionalen Inferno dessen, was wir Alltagsleben nennen, in den Untergrund getrieben werden –, waren ihrerseits leicht zu verschrecken, flüchteten sich blitzschnell in das Labyrinth des Unterbewusstseins, wo sie dann orientierungslos und mutterseelenallein und in verzweifelter Sehnsucht nach einer Berührung umherirrten, doch in ihrer Isolation wenigstens sicher waren vor der Art von Tiefschlägen, ob physisch oder emotional, real oder eingebildet, die sie bei helllichtem Tage hatten einstecken müssen. Manipulierende Mütter, gewalttätige Väter, lüsterne Erzieher, falsche Freunde, lieblose Ehen, tote Großeltern, tote Eltern, tote Geschwister, tote Kinder, Tod, der geduldig wartete – auf sie. Sie brauchten den stillen Trost von Pastelltönen und indirekterBeleuchtung, von endlosen Panoramen und blauem Himmel, einer samtenen Stimme wie der von Jonah, den mitfühlenden Blick blauer Augen wie der seinen.
    Doch all diese Dinge reichten nur ellbogentief in das Unterbewusstsein und ließen die komplexesten Pathologien unberührt. Jonahs Zugriff reichte weit tiefer hinab, in die entferntesten Winkel der dunkelsten Gedanken. Und die geheime Zutat, die mehr als alles andere die Wunder erklärte, die er bei seinen Patienten vollbrachte, war schlicht diese: die fühlbare Gegenwart seiner eigenen Dämonen. Jene, die undenkbare Gedanken hegten, spürten tief in ihrem Herzen, dass sie eine verwandte Seele gefunden hatten, jemanden, der die unbeschreibliche Qual des Lebens verstand, wenn man in Scherben gegangen war, einige davon so scharfkantig, dass nach bloßer Berührung die Blutung nie wieder zu stillen sein würde.
    »Da ist einer Ihrer Leidensgenossen«, bemerkte Ellison zu Jonah und deutete mit einem Nicken auf eine Frau von erotischem Äußeren, Mitte bis Ende dreißig, mit langen, glatten, schwarzen Haaren, die in einer kleinen Gruppe auf der anderen Seite des Saals stand. »Dr. Jenkins. Kommen Sie, ich stelle Sie einander vor.«
    Jonah folgte Ellison zu der Frau hinüber.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Ellison und fasste sie von hinten am Arm.
    Jenkins drehte sich um. Sie trug einen schlichten, doch elegant geschnittenen Hosenanzug mit einem limonengrünen T-Shirt darunter. »Wie geht’s, Craig?«, sagte sie. Sie nickte Jonah zu, dann sah sie wieder Ellison an.
    »Wie immer bestens«, sagte Ellison.
    »Paul hat heute eine wirklich harte Nuss für Sie«, sagte sie. »Ein neunjähriger Junge. Praktisch stumm. Der Kleine hat kaum zehn Worte gesprochen, seit er eingewiesen wurde.« Siezwinkerte Jonah zu. »Wollen wir mal sehen, was der Boss bei ihm erreichen kann.«
    Jonah schaute in Jenkins’ bernsteinfarbene Augen, deren Weiß aus dem Rahmen ihrer glänzenden Haare hervorblitzte. Die Mandelform ihrer Augen und ihre leichte Schrägstellung gegenüber den Wangenknochen deuteten eine zum Teil asiatische Abstammung an, die auch ihre bräunliche Haut und ihren langen, anmutigen Hals erklären würde. Wenn sie lächelte, tauchten Grübchen in ihren Wangen auf und verrieten sie als zugängliche, nicht unberührbare Schönheit. »Welche waren es?«, fragte Jonah.
    »Wie bitte?«, sagte Jenkins.
    »Die Worte«, sagte Jonah. »Welche zehn Worte hat der Junge
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