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Prinz für die Köchin

Titel: Prinz für die Köchin
Autoren: M Zagha
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Bisher war Essen lediglich Teil ihrer Traumwelt gewesen, wie sprechende Tiere oder Prinzessinnen und Drachen. Jetzt war es ein Grund, sich von ihrer Familie abzusetzen und heimlich ihrer eigenen Wege zu gehen.
    Sie fand eine unschätzbare Verbündete in Di – jemanden, der wie sie Essen liebte und seinen Lebensunterhalt damit verdiente, ausgefallene Kuchen und Torten zu backen. Sooft sie konnte, flüchtete sich Imogen ins Haus ihrer Nachbarin und verbrachte dort viele glückliche Stunden mit Kochen und Backen – und mit Essen.
    Di sei ziemlich einsam, berichtete sie ihrer Familie höchst unwahrheitsgemäß. Ebenso wenig hatten Di und Imogen, wie sie daheim erzählte, zusammen die Romane von Jane Austen, Trollope, Thackeray sowie das meiste von Charles Dickens gelesen, mit gelegentlichen Vorstößen in die Werke von Balzac. Stattdessen hatten sie sich fröhlich durch die Bücher englischer Starköche hindurchgearbeitet. Zuletzt erst hatten sie sich kurz, aber heftig mit Heston Blumenthals »Molekularer Küche« beschäftigt und mit großem Vergnügen Gelees und Schaumsüppchen aus den unwahrscheinlichsten Rohmaterialien gezaubert.
    Mit den Jahren hatte Imogen aber noch eine weitere heimliche literarische Leidenschaft entwickelt. Von den Märchen ihrer Kinderzeit – besonders Aschenputtel, Dornröschen und Die kleine Meerjungfrau  – war sie zu Liebesromanen übergegangen, zum Teil vielleicht, weil sie genau wusste, wie sehr diese ihrer desillusionierten Mutter missfallen würden. Ihr absolutes Lieblingsbuch, das sie wieder und wieder las, war Georgette Heyers Venetia und der Wüstling. Es war etwas unvorstellbar Aufregendes an der Szene, in der die Heldin urplötzlich von einem schneidigen Fremden geküsst wurde, der ihr Herz im Sturm eroberte. Und dann verliebte Venetia sich nach und nach in ihn, und Damerel – zynischer Schwerenöter, der er war – auch in sie. Es war wundervoll, und Imogen versteckte ihr eselsohriges Exemplar hinten im Kleiderschrank, gleich neben dem Tagebuch mit den Rezepten. Natürlich wusste sie, dass es nur eine erfundene Geschichte war, aber eine, die erahnen ließ, dass Liebe auf genauso köstliche Weise zufriedenstellen konnte wie ein perfekt gelungenes, zartschmelzendes Schokoladensoufflé.
    Mitten im Aufräumen, Putzen oder Nähen für ihre Geschwister ertappte sie sich oft bei Tagträumen über diese Art von Liebesgeschichten. Dann schreckte sie auf und dachte an ihren Vater. Männern konnte man nicht trauen. Sie ließen einen sitzen. Wahrscheinlich war es das Beste, sich von ihnen fernzuhalten und so unabhängig wie möglich zu bleiben; das war bei Weitem das Sicherste.
    Ungeachtet dieser Vorbehalte ging Imogen heimlich, aber regelmäßig in die Bibliothek, um sich mehr und mehr Liebesromane auszuleihen. Im Laufe der Zeit hatte sie sich mit einer der Bibliothekarinnen angefreundet, einer zuvorkommenden jungen Frau namens Jo, die eine Brille trug und sie stets auf neu eingetroffene Liebesgeschichten hinwies, wie ein freundlicher Metzger, der seinen Stammkunden die besten Fleischstücke aufhebt.
    Bis vor ungefähr einem Jahr hatte Elsa, die nur ihre Kunst im Kopf hatte, wenig Interesse an Imogens Aktivitäten gezeigt. Dann hatte sie sich urplötzlich an die Existenz ihrer mittleren Tochter erinnert, und die Frage Was machen wir mit Imogen? war zu einem lästigen, aber hartnäckigen Thema geworden. Es war schon schlimm genug, dass die kleinere, üppigere und dunkeläugige Imogen mit ihrem wilden braunen Lockenschopf das absolute Ebenbild ihres pflichtvergessenen Vaters war – anders als ihre vier Geschwister, die genauso aussahen wie Elsa selbst: hochgewachsen und androgyn, mit heller Haut und blondem Haar. Das eigentliche Problem jedoch war Imogens Mangel an künstlerischer Begabung. Sie hatte Zeichen- und Klavierunterricht gehabt, hatte Töpfer- und Stickereikurse besucht, sogar einen Crashkurs im Weben, doch es hatte alles nichts genützt. In Elsas Augen versuchte Imogen nicht einmal, etwas zu lernen.
    Ihre Mutter wusste sich keinen Rat mehr, und so schleifte sie ihr Problemkind zu einem Montessori-Kindergarten in der Nähe. Zu ihrer Überraschung hatte Imogen sich nicht nur bereit erklärt, dort ein Praktikum zu machen, sondern in dem Laden anschließend sogar einen Job ergattert.
    Elsa, nicht eben die Scharfsinnigste aller Mütter, hatte keine blasse Ahnung, was der wahre Grund dafür war, dass Imogen sich darum riss, in dem Kindergarten zu arbeiten – nämlich die
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