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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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gebleckten, fest zusammengebissenen Zähnen auf der rotgelockten Hauptdarstellerin hängt und wie besessen rammelt, rammelt, rammelt. Als nächstes eine Nahaufnahme: Ihre langen, scharfen, schwarzlackierten Fingernägel, wie sie sich in die weiche, schutzlose Haut seines Nackens krallen, um von da an langsam abwärts . )
    Oh, ich erinnerte mich. Ich nehme an, sie hat meine Schmerzensschreie für den Ausdruck höchster Lust gehalten.
    Etwas zittrig prüfte ich die Standfestigkeit meines Gebeins. Für den Moment schien es zu halten. Die Ginpulle klunkerte unter das Bett, als ich einen Schritt wagte.
    Gott, das Zimmer sah aus, als habe man damit gewürfelt. Das fest an meinem Rücken haftende Laken wie eine Schleppe hinter mir herziehend, bahnte ich mir einen Weg durch das Chaos. Jetzt, wo ich ihn sah, fiel mir auch dieser blöde, flache Sessel wieder ein, über den ich gestolpert war, und das wacklige Regal voller Tinnef, an dem ich vergeblich Halt gesucht hatte. Nun ja ...
    Drei Kondome hingen schlaff von den Blättern eines Gummibaumes, gute zweieinhalb Meter Wurfweite vom Bett entfernt. Ja, das war ich gewesen. Das war ganz mein Stil.
    Irgend etwas schrappte bei jeder Bewegung meines rechten Fußes über den Boden. Ich sah nach. Ein Pappkärtchen, mit Gummiband an meinem dicken Zeh befestigt. Sehr geschmackvoll. Wie im Leichenschauhaus. Mühsam bückte ich mich.
    >Mein süßes Stummeläffchen<, stand da. Es war also doch kein Traum gewesen.
    >Es tut mir ja sooo leid, doch ich mußte zum Dienst.< Dienst?
    Sonntags? Ich grübelte ein bißchen, doch mir wollte nicht einfallen, ob, und wenn ja, was sie mir über ihren Beruf erzählt hatte. Genausowenig wie ihr Name, nebenbei. >Zora< hatte ich sie genannt, umwerfend witzig, wie ich manchmal sein kann, >die rote Zora<, und da war ich dann bei geblieben, hartnäckig in meiner Schalkhaftigkeit. Gut möglich, daß sie nie dazu gekommen ist, mir ihren richtigen Namen zu nennen. Ich las weiter.
    >Laß uns das bald noch mal machen, hörst du? Kuß.< Und dann noch eine Telefonnummer.
    »Laß uns das bald noch mal machen«, murmelte ich, während ich weiterschlurfte Richtung Bad. Aber klar doch. Jederzeit. Bloß das nächste Mal ohne Gin, bitte. Und die Lederjacke würde ich anbehalten.
    Unter der Dusche weichte ich das Bettuch ein Viertelstündchen mit handwarmem Strahl ein, bevor ich wagte, es Zentimeter für Zentimeter von meinem zerkratzten Kreuz zu pellen.
    Beim Abtrocknen begann ich mich so langsam zu fragen, wo ich mich hier eigentlich befand. Wie waren wir hergekommen? Confusion. No connection. Ich spähte durch eine Jalousie. Wie befürchtet, schien die Sonne. Ansonsten war die Aussicht nichtssagend. Irgendeine graue Vorortstraße mit mehrgeschossiger Bebauung. Könnte Mülheim sein, Styrum vielleicht, oder Dümpten, aber genausogut ein Teil von Oberhausen, Duisburg oder Essen. Ein Streifenwagen kam die Straße heruntergezockelt, gefolgt von einem gelben Abschleppwagen. Der war mir allerdings bekannt. Einer aus Heiner Sültenfuss' Flotte. Heiner hat einen Schrottplatz, und auf dem Schrottplatz hat er eine Japaner-Ecke, und die JapanerEcke, sagt er immer gerne zu mir, die hat er nur für mich eingerichtet.
    Vor dem Haus hielten sie an, der Abschleppwagen schaltete die rotierenden Warnlichter ein und setzte langsam zurück. Er hatte da wohl einen Kunden. Neugierig beugte ich mich weiter vor. Im nächsten Augenblick hatte ich die Hose an und kramte panisch nach meinen anderen Klamotten. Es war völlig egal, auf welchem Fleck auf der Landkarte ich mich gerade befand -diese rotgestrichene, vollkommen zerschossene '77er Toyota Carina gab es im ganzen Ruhrgebiet nur einmal. Doch - wo kam die denn her? War ich gestern noch gefahren? Es war nur schwer zu glauben.
    Ich hatte nur eine Socke wiedergefunden, mein Hemd war schief geknöpft, der Reißverschluß meiner Jeans hatte sich auf halbem Wege verhakt, und ich kriegte, allen hektischen Bemühungen zum Trotz, den linken Arm nicht in die Lederjacke, als ich unten aus der Tür gestürmt kam und »Laß sie wieder runter!« schrie.
    Die Winde verstummte, und der Fahrer sah mich ausdruckslos an. Die Türen des Streifenwagens öffneten sich gemächlich.
    Ah so, ein Ärmel war noch auf links. Ich nestelte.
    »Ist das Ihr . Fahrzeug?« brüllte mir ein rotgesichtiger Grauhaariger ins Ohr, daß ich beinahe die Jacke fallengelassen hätte.
    »Nein«, antwortete ich und sah ihn ernst und erstaunt an, »wie kommen Sie darauf?« Jesus, was
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