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Prickel

Prickel

Titel: Prickel
Autoren: Jörg Juretzka
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gute Idee. Heute weiß ich das. Sie hätten kehrtmachen sollen, auf der Stelle, und dann laufen, und zwar so schnell sie konnten und jeder in eine andere Richtung. Heute weiß ich das, und heute weiß ich auch, daß ich das gleiche hätte tun sollen.
    Ich erwachte Montagmorgen mit der Katze auf den Füßen. Ich hatte geträumt, das wußte ich noch. Aber nicht mehr, was. Bestimmt was Schlechtes. Irgendwie meine ich immer, ich träume schlecht, wenn die Katze auf meinen Füßen pennt. Doch beweisen kann ich das nicht. Die Katze schlief noch. Träge sah ich mich um. Chaos. Die absolute Sorte. Keine Steigerung mehr denkbar. Dabei waren es noch nicht einmal sechs Wochen, seit Kim mich .
    Ach, Scheiße!
    Da war sie wieder. Wie jeden Morgen. Und wie jeden Morgen versuchte ich, jeglichen Gedanken an Kim so schnell es ging zu verdrängen. Mich packt sonst nämlich immer der Wunsch, mit dem Kopf gegen die Wand zu schlagen, und zwar so lange, bis eins von beidem nachgäbe. Also, was dann? Mehreren übelgelaunten, kleinen Geräuschen der Katze zum Trotz setzte ich mich auf, und siehe da! - das milde Reißen trockener Kruste auf meinem Rücken gab meinen Erinnerungen die gewünschte Wende. Für einen Moment war ich im Geiste bei Zora, oder wie sie auch heißen mochte. Bei Zora und ihren verdammten Krallen. Von da zur Carina und von der Carina zur Leere meiner Taschen waren es nur zwei kleine, gedankliche Schritte. Nun, so, oder so ähnlich, fangen bei mir fünfzig von zweiundfünfzig Montagen im Jahr an. Das wird dann irgendwann Routine. Auch die Tatsache, daß ich momentan ohne einen einzigen Auftrag dastand, vermochte meine Stimmung nicht weiter zu trüben. Irgend etwas würde sich schon ergeben. Wie, um mich zu bestätigen, klingelte das Telefon, und einen Schiß, eine Dusche, eine Rasur und eine halbe Kanne Kaffee später stand ich an der Bushaltestelle vor dem Haus, um mich in die Stadt kutschieren zu lassen.
    Bei der Anwaltskanzlei Haubrücher, Wagenrath und Etic wartete man ungeduldig, ja sehnsüchtig auf meine Hilfe. Woher ich das wußte, obwohl Wagenrath nur >Schau doch heute morgen mal rein< gesagt hatte? Ich hatte entgegnet, daß ich diesmal unweigerlich einen Vorschuß brauchte, und er hatte ohne zu zögern sein Einverständnis gegeben. Das sagte alles. Sie mußten heillos in der Klemme stecken.
    Das Wartezimmer der Kanzlei war richtig voll. Jede Menge Türken, wie es aussah. Abdullah Etic als dritten Partner mit aufzunehmen, begann sich also allmählich auszuzahlen.
    Etic hatte sich voll auf die Belange seiner Landsleute spezialisiert. Er kannte sich zentral im Asylrecht aus, genauso wie bei Fragen der Einbürgerung, und obendrein war er ein sehr guter Vermittler, wenn es um Dinge wie Arbeitserlaubnisse oder Gewerbeanmeldungen und Konzessionen ging.
    Haubrücher stellte so etwas wie die graue Eminenz der Kanzlei dar, schaute nur noch bei wirklich wichtigen, oder -anders ausgedrückt - wirklich medienträchtigen Fällen vorbei und widmete sich ansonsten lieber seinen beiden Steckenpferden: erlesenen Weinen und teuren Frauen.
    Wagenrath aber, Dr. jur. Norbert Wagenrath aber, war der eigentliche Star unter den Dreien. Ein Strafverteidiger, wie man ihn sich nur wünschen kann. Sollte ich jemals an einem lauschigen Sommersamstagnachmittag durch die an die >Endstation< angrenzende Kleingartenanlage schlendern und jeden, jeden einzelnen, der ein motorgetriebenes Gartengerät bedient, mit der Hacke erschlagen, Wagenraths Nummer wäre es, die mir dabei im Kopf kreisen würde, alternierend mit dem schönen Satz: >Und alles wird gut<.
    Ihn gegen sich zu haben ist ein richtig unbehaglicher Gedanke. Doch bis heute waren wir immer ganz gut miteinander ausgekommen.
    Trotzdem erfüllten mich Anrufe von Haubrücher und Co. meistens nicht mit schierem Enthusiasmus. Wer jemals für Anwälte gearbeitet hat, wird wissen, wovon ich spreche. Oder, andersherum - wer noch nie für Anwälte gearbeitet hat, weiß überhaupt nicht, wie schwer es sein kann, an sein Geld zu kommen. Und dann war da noch etwas.
    Es saß im Vorzimmer zu den drei Büros.
    Ich legte die Fingerspitzen sachte an meine Schläfen, schloß für einen Moment die Augen und atmete dreimal tief durch, bevor ich die Rechte schwer auf die Klinke fallen ließ, die Türe zum Vorzimmer aufstieß und mich nach drei langen Schritten genau vor ihrem Schreibtisch aufbaute. An seiner rechten Kante hing eine Fuchsie aus einem in Geschenkpapier eingeschlagenem Topf und stank vor sich hin.
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