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PR 2646 – Die Tage des Schattens

Titel: PR 2646 – Die Tage des Schattens
Autoren: Leo Lukas
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bedeutete die Erscheinung der Superintelligenz QIN SHI.
    Aber es gab keinerlei Original-Aufzeichnungen. Marrghiz kannte niemanden, dem solches Glück je persönlich widerfahren wäre.
    Trotzdem wusste er sofort Bescheid.
    Es begann damit, dass ihn eine Art Aura umfasste und mit äußerster Zartheit einhüllte. Seine Aubleite pumpte heftiger, sein Saidguss verdünnte sich. Marrghiz war, als würde er abgetastet, aber von innen, aus seinem Innersten heraus.
    Geprüft – und für würdig befunden.
    An der Wand des Konferenzsaals bildete sich ein ovaler, spiegelnder Fleck, der wuchs und sich rasch ausbreitete, bis er fast drei Meter durchmaß. Die Spiegelfläche wölbte sich hervor, aus der Wand heraus, zu einem Relief, zu einem Gesicht.
    Dieses Gesicht war schrecklich und sein Blick unausweichlich, bannend, alles durchschauend. Selbst als Marrghiz die Augen schloss, sah er dieses Gesicht in völliger Klarheit.
    Zu seinem Entsetzen erkannte er, dass es sich um sein eigenes Gesicht handelte, nur in vielerlei Hinsicht optimiert: Die Züge erschienen stärker, optimistischer, bestimmter; in gewisser Weise grausamer, schmerzlüsterner, unbarmherziger.
    Marrghiz hatte eine zugleich verklärte und entstellende Vision seiner selbst. Indem die Superintelligenz ihm einen idealisierenden Spiegel vorhielt, zeigte QIN SHI ihm sein Gesicht.
     
    *
     
    Sie sprachen miteinander.
    Nicht verbal; es war kein Wort zu hören, auch nicht in Marrghiz' Gedanken. Obwohl er wusste, dass sie mit einer Stimme gesprochen hätten, mit seiner Stimme, die so klang, wie er es sich immer gewünscht hatte.
    Sie verstanden einander vollkommen. Zwar verschmolz die Superintelligenz ihren Geist nicht mit dem seinen – das hätte Marrghiz vermutlich das Leben gekostet oder wenigstens den Verstand. Aber der Austausch der Gedanken verlief mit absoluter Klarheit, ohne den geringsten Übermittlungsfehler. Dadurch wurde die Kommunikation zu einem Akt von ätherischer Schönheit.
    Marrghiz meldete, dass alles weitgehend nach Plan verlief; nicht hundertprozentig, wie es wünschenswert wäre, jedoch im Großen und Ganzen zufrieden stellend.
    Die Extraktion von ARCHETIMS Korpus aus der Sonne, die von den Terranern Sol genannt wurde, machte Fortschritte. Ein fixes Datum konnte er allerdings nicht angeben.
    In diesem Zusammenhang begehrten die Spenta Auskunft darüber, auf welche Art und Weise der Leichnam der Superintelligenz entsorgt werden sollte. Falls Marrghiz einen Transport mit Raumschiffen plante, könne der Korpus vergleichsweise unaufwendig durch die Ephemerfolie geschleust werden.
    Oder solle der Korpus gleich via Ephemerfolie transmittiert werden? Dazu wäre eine entsprechende Modulation der ephemeren Membran notwendig – aufwendig, aber machbar.
    Marrghiz rang mit der Entscheidung. Die logistisch einfachere Methode stellte gewiss ein Abtransport mittels Raumschiffen dar. Jedoch wäre sie militärisch riskant.
    Allzu sicher durften sie sich ihrer Sache im Solsystem nicht sein. Marrghiz hatte nicht das Gefühl, dass die Solare Flotte wirklich komplett in seiner Hand war.
    Die Terraner hatten ein gewisses Faible für Verzweiflungstaten, so genannte Himmelfahrtskommandos mit rational haarsträubend geringen Erfolgsaussichten. Eine groß angelegte Revolte stand nicht zu befürchten, aber schon ein einzelner Schlachtschiffskommandant, der sich zum Heldentum berufen fühlte, konnte allerhand Schaden anrichten ...
    QIN SHI gab keinen Kommentar ab, während Marrghiz berichtete und seine Überlegungen darlegte. Immerhin bestärkte ihn die Superintelligenz darin, dass er seinerseits Anweisungen von Saypor erbitten sollte. Und sie festigte seine Hoffnung, dass alles einfacher werden würde, wenn erst einmal der Umbrische Rat installiert wäre.
    Als Marrghiz die Rückkehr der Neuformatierten erwähnte, spürte er, dass QIN SHI sich amüsierte: eine Invasion, wie selbst das invasionsverwöhnte Solsystem sie noch nicht erlebt hatte – das gefiel ihnen beiden, und eine Weile ergötzten sie sich gemeinsam daran.
     
    *
     
    Bei Marrghiz stellte sich das Gefühl der Überlegenheit ein, der gewaltigen Machtfülle QIN SHIS, die auf ihn abfärbte. Auch ein wenig Gier schmeckte durch; jedenfalls grenzenlose Souveränität.
    Hin und wieder beschlich Marrghiz der Verdacht, die Superintelligenz werde für Sekundenbruchteile abgelenkt, müsse sich neu konzentrieren, neu finden. Wahrscheinlich täuschte er sich und projizierte bloß seine eigene Unsicherheit.
    Nein, es gab
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