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PopCo

PopCo

Titel: PopCo
Autoren: Scarlett Thomas
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kleben bleiben. Es klingt sicher eitel, sich über so etwas
     Gedanken zu machen, aber wenn man so krauses Haar hat wie ich, wird man wohl automatisch eitel. Ich warte, bis der Zugbegleiter
     ein letztes Mal meine Fahrkarte inspiziert hat, dann schließe ich die Tür, schmiere mir etwas Vaseline ins Haar (das ist fast
     so gut wie eine Haarkur) und ziehe eine Duschhaube darüber, die ich extra zu diesem Zweck eingepackt habe. Die Duschhaube
     ist rosa- und cremefarben und hat ein Muster aus Kätzchen, die mit Wollknäueln spielen. Ich habe eine ganze Kollektion solcher
     Duschhauben. Meine Haare verkraften es nicht besonders gut, nass zu werden, aber zu trocken mögen sie es auch nicht. Sie haben
     etwas von hochempfindlichen Hängegärten, um die man sich ständig kümmern muss, weil sie sonst welken und eingehen. Manchmal
     frage ich mich, wie ich wohl im Mittelalter ausgesehen hätte und was man mit Haaren wie meinen überhauptangestellt hat, bevor die entsprechenden Produkte erfunden waren. Ob sich wohl Tiere darin angesiedelt hätten? Das wäre ja
     vielleicht sogar ganz lustig gewesen.
    Ich schaue in den Spiegel über dem Waschbecken und muss über den seltsamen Anblick grinsen. Vielleicht wäre das ja der «Look»,
     der ihnen allen endgültig das Maul stopfen würde. Wie sie ihn wohl nennen würden? Den «Irrenhaus-Look» vielleicht? Ich schneide
     meinem Spiegelbild Grimassen, versuche dabei, so grotesk wie möglich auszusehen, und denke mir Situationen aus, die man verderben
     könnte, indem man so dort auftaucht. Familienfeiern und Hochzeiten kommen mit auf die Liste, obwohl ich bei so etwas noch
     nie war. Ob man in diesem Aufzug Sex haben könnte? Wie der Partner das wohl finden würde? Wahrscheinlich gibt es irgendwo
     auch Duschhauben-Fetischisten – schließlich kann man ja so ziemlich alles zum Fetisch machen. Ob ich mich so bei der POW zeigen
     könnte? Wenn ich mich das bloß trauen würde!
    Folgendes enthält mein alter, brauner Reisekoffer: Schlafanzug, Kulturtasche, Leinenturnschuhe, Haarpflegemittel, weitere
     Duschhauben, Haarspangen und Haargummis, Unterwäsche und Strumpfhosen zum Wechseln, eine frische Bluse, eine Wolljacke, ein
     paar weitere ausgewählte Kleidungsstücke, darunter mein Lieblingscordrock; Nagelschere, Gitarrenplektron (auch wenn ich ohne
     Gitarre reise, muss ich doch immer ein Plektron dabeihaben), grünen Tee, Kamillentee, eine Tafel Notfallschokolade, eine Thermosflasche
     mit heißem Wasser, Müsli, drei Bleistifte der Stärke 1B, ein Skizzenbuch, ein Notizbuch, meinen Füller, einen Spitzer und
     Ersatzpatronen für den Füller. In einer kleineren Leinentasche im Armystil habe ich noch zwei Bücher, ein paar homöopathische
     Arzneien, meine Notfallausrüstung, mein Portemonnaie, ein kleines Transistorradio, Tabak und Zigarettenpapier, zwei, drei
     weitere Dinge sowie diverse schwarze und weiße Haare meines Katers Atari.
    Die Notfallausrüstung ist ein Experiment und umfasst lauter Dinge, die man meines Erachtens braucht, um in einer Notsituation
     überleben zu können: Pflaster, Wasserreinigungstabletten, Streichhölzer, Kerzen, Batterien, eine kleine Taschenlampe, einen
     Kompass, ein Messer, mehrere biodynamische «Energieriegel», eine große Plastikplane und Notfalltropfen. Notfalltropfen kurieren
     praktisch alles – Schockzustände, kranke Haustiere, welkende Pflanzen   –, und da sie in Weinbrand gelöst sind, kann man sie auch als Desinfektionsmittel verwenden. Wenn ich Zahnschmerzen habe,
     träufele ich ein paar Notfalltropfen auf den schmerzenden Zahn, dann wird es jedes Mal gleich besser.
    Die Notfallausrüstung und das Transistorradio sind die beiden Dinge, nach denen ich sofort greifen würde, wenn beispielsweise
     ein feindlicher Überfall auf den Zug verübt würde und ich nur zwei Minuten Zeit zum Fliehen hätte. Die Duschhauben würde ich
     zurücklassen. Wenn es ums nackte Überleben geht, wären mir meine Haare dann wohl doch egal. Irgendwo habe ich mal gelesen,
     dass man sich beim Packen immer fragen soll, welche Dinge lebensnotwendig sind und welche bloß Luxus, um dann nur das Lebensnotwendige
     mitzunehmen. Im Grunde ist natürlich kaum etwas wirklich lebensnotwendig. Wenn ich das absolut Unerlässliche aus meinem Gepäck
     auswählen müsste, wären das nur die homöopathischen Carbo-vegetabilis-Tabletten, die ich wegen meiner Allergie gegen Bienen-
     und Wespenstiche dringend brauche. Vielleicht noch die Plastikplane, obwohl ich jetzt
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